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(Bernd) Heinrich (Wilhelm) von Kleist

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* 18.10.1777, Frankfurt/Oder
† 21.11.1810, Berlin (Wannsee)

Dichter, Offizier, Journalist

Kleists Zeitgenossen - und unter ihnen nicht zuletzt Goethe - waren von seinem literarischen Werk nicht allzu beeindruckt und vermuteten in den sprachlichen Eigenarten, die seinen späteren Ruhm begründeten, eher dichterisches Unvermögen. Von Friedrich Nietzsche wurde er zu einem großen Unzeitgemäßen stilisiert und von Thomas Mann, Franz Kafka, Rilke und vor allem dem Germanisten Max Kommerell als Vorläufer der literarischen Moderne des 20. Jahrhunderts gedeutet. Diese Lesart eines 'einsamen' und 'unverstandenen' Kleist konkurrierte mit dem bildungsbürgerlich-nationalistischen, im wilhelminischen Kaiserreich entstandenen Bild des wahren deutschen Dichters der Hermannsschlacht (1808; ersch. 1821; UA 1860) und antifranzösischer Propaganda, das während des Nationalsozialismus dann unter Mithilfe der Germanistik kultur- und bildungspolitisch durchgesetzt wurde. Nach 1945, als Kleist dann auch vom existentialistisch geprägten Theater in Frankreich und Deutschland als Geistesverwandter entdeckt wird, verschwindet der 'deutsche' Kleist rasch in der Mottenkiste.

Heute finden wir den 'Selbstmörder' Kleist, der nach dem Scheitern seiner Zeitung Berliner Abendblätter (1810-1811) zunächst seine Gefährtin Henriette Vogel (*1777) und dann sich standesgemäß mit Revolvern erschoß, im Kanon der Außenseiter und erst von den Nachwelt entdeckten Genies zusammen mit Jakob Michael Reinhold Lenz, Georg Büchner und Franz Kafka. Seine Einordnung in das Epochenschema deutscher Literaturgeschichte bleibt bis heute problematisch. Ihn als Erzähler der Marquise von O... (1807) oder der Heiligen Cäcilie (1810) der Romantik zuzuschlagen, blieb ebenso umstritten wie der Versuch, den Verfassers der Komödie Der Zerbrochene Krug (1808) und des Amphitryon (1807; UA 1898) als 'dritten' Dramenklassiker neben Goethe und Schiller zu etablieren. Kleist bewegte sich zwar in Kreisen der Romantiker, vor allem während seiner Aufenthalte in Dresden und Berlin 1808 und 1810/11, deren Ästhetik und gesellschaftlichen Vorstellungen stand er jedoch kritisch gegenüber. In Kleists Dramen ist wenig von der Formenstrenge und sprachlichen Zucht der Weimarer Klassik zu spüren.

In der germanistischen Forschung der Gegenwart gilt Kleist unbestritten als einer der innovativsten Erzähler der deutschen Literatur, der sich in Werken wie Michael Kohlhaas (1810), Die Marquise von O..., Das Erdbeben in Chili (1807) oder Die Verlobung in San Domingo (1810) wie kein anderer Schriftsteller seiner Zeit subversiv gegenüber einer automatisierten und gattungskonformen Redeweise verhielt. Der lakonische Stil wird durch Paradoxien, Doppeldeutigkeiten und Ironie unterlaufen. Die komplexe Syntax erreicht öfters die Grenze des Verstehbaren. Durch den Kontrast zwischen nüchterner Berichtssprache und der starken Synchronisierung, Zeitraffung und die Dynamisierung des Geschehens wird eine Plastizität der Darstellung erreicht, wie sie erst in der Literatur der Moderne wieder erreicht wird. In seinen Briefen an die Braut Wilhelmine von Zenge und die Schwester Ulrike reflektiert Kleist seine geistige Entwicklung und seine Lebenskrisen ebenso wie seinen schwierigen Weg zur Autorschaft. Sie zeigen ihnen aber auch als aufmerksamen Beobachter kultureller und politischer Entwicklungen seiner Zeit. Literaturwissenschaftliche Arbeiten zur Kleist orientieren ihre Interpretationen und Analysen nicht selten an diesen Selbstdeutungen des Autors.

Kleists Werke sind im kulturellen Leben der Gegenwart heute vermutlich stärker präsent als die Schillers. Seine Erzählungen werden verfilmt oder für die Bühne bearbeitet, seine Dramen von den bedeutendsten Regisseuren häufig inszeniert. Auch in der Literaturwissenschaft ist Kleist ein Gegenstand intensiver und extensiver Forschung (Kleist-Jahrbuch 1980 ff).

©KMB

Wichtige Schriften

  • Die Marquise von O... (1807)
  • Das Erdbeben in Chilli (1807)
  • Amphitryon (1807)
  • Der zerbrochene Krug (1808)
  • Michael Kohlhaas (1810)

Sekundärliteratur

  • H. L. Arnold (Hg.): Heinrich von Kleist, München 1993.
  • K.-M. Bogdal: Heinrich von Kleist. Michael Kohlhaas, München 1981.
  • P. Staengle: Heinrich von Kleist, München 1998.