Das naturalistische Drama erlangte in Deutschland in den Jahren zwischen 1890 und 1905/10 Bedeutung. Im Anschluß an naturalistische Tendenzen im europäischen Ausland (Zola, Balzac, Tolstoi, Dostojewski, Strindberg) entwickelte sich eine literarische Strömung, die die möglichst exakte Wiedergabe der Wirklichkeit zum ästhetischen Programm erklärte. Damit reagierten die Künstler nicht nur auf das naturwissenschaftliche Exaktheits-Ideal, sondern auf die Verschärfung der sozialen Frage im ausgehenden 19. Jahrhundert. Ziel war es, einen Beitrag zur Analyse der sozialen Situation der Menschen zu leisten. Dies spiegelt sich auch in der Themenwahl wieder: Ganz oben auf der Liste rangierte die Darstellung des Elends der ausgebeuteten Schichten, z.B. in den Romanen Zolas und Gerhard Hauptmanns berühmten Drama Die Weber (1892). Auch die Doppelmoral der Bürger und die Brüchigkeit tradierter Strukturen (z.B. der Familie) spielten eine große Rolle. Die maßgebliche Leitlinie für den naturalistischen Dramatiker war folglich, einen Stoff aus dem wirklichen Leben zu wählen, eine möglichst detailgetreue Milieuschilderung mit der dazugehörenden höchstmöglichen Sprachtreue zu liefern, und sich dabei auf den Menschen und nicht auf die Fabel zu konzentrieren. Die letzte Forderung führte zu einer geringen Figurenzahl im naturalistischen Drama. Strukturell kennzeichnend sind ausführliche Bühnenanweisungen, auch zum Sprachduktus und zur Sprechgeschwindigkeit der Figuren, die Betonung eines analytischen Handlungsaufbaus und die Wahrung der Einheit von Ort und Zeit. All dies sollte der Wahrscheinlichkeit und damit dem 'Naturalismus' dienen. Trotzdem handelte es sich nicht um Dramen mit einer eindeutig geschlossenen Form, da die Darstellung und Aneinanderreihung von Stimmungsbildern zu einem wichtigen gestalterischen Prinzip wurde.
Die philosophische Ausgangsthese des Naturalismus lautet: Der Mensch ist in genetischen, sozialen und historischen Strukturen gefangen, er ist in seinen Handlungen nicht prinzipiell frei, sondern von außen bestimmt. Deswegen gilt es die Strukturen, die zu dieser Bestimmung führen, aufzudecken. Hier zeigt sich der Naturalismus in der Nähe der neuentstehenden Wissenschaft 'Soziologie' (eine Begriffsschöpfung des Positivisten Auguste Comte), die nicht länger über das warum der gesellschaftlichen Zustände spekulieren will, sondern die Analyse des Jetztzustandes in den Vordergrund stellt. Wissen sammeln, um in der Lage zu sein, Veränderungen vorzunehmen, lautet das Motto, an dem sich auch die Literaten orientieren.
Die wichtigsten naturalistischen Dramatiker sind Hauptmann, Sudermann, Stavenhagen und Hirschfeld, die Palette der dramatischen Formen reicht von mehraktigen Dramen, Einaktern, über Schauspiele, Tragödien bis zu Tragikomödien und Komödien.
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