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* 03. 07.1883, Prag
† 03. 06.1924, Kierling bei Wien

Jurist und deutschsprachiger Schriftsteller

Die Machtübernahme des Nationalsozialismus in Deutschland hemmte die Verbreitung der drei Romane Der Verschollene (früher Amerika), Der Process und Das Schloss die der frühverstorbene Autor hinterlassen und die sein Freund Max Brod erst 1925-27 ediert hatte. Zu Lebzeiten waren von Franz Kafka nur einige Erzählungen und Kurzprosa im Druck erschienen. Die Rezeption seiner Werke erfolgte in Europa erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und fiel so zusammen mit der Aufnahme der Existenzphilosophie und der 'existentialistischen' Autoren Albert Camus und Jean-Paul Sartre. Kafka erhielt den Stempel des "Dichters der Angst", der die Verhängnisse der Moderne früh zum Ausdruck gebracht und die Auswirkungen des mechanisierten und bürokratisierten Lebens auf die Menschen bereits vorweggenommen habe. Er wurde alsbald von den verschiedensten literarischen und weltanschaulichen Strömungen als Repräsentant beansprucht.

Dies ignoriert sowohl die realistisch-naturalistische Tradition (Flaubert, Dostojewski, Dickens) als auch den Kontext der Kulturszene von Berlin, Prag und Wien, in denen Kafka stand. Einen entscheidenden Einfluss hatte zweifellose seine Zwischenstellung als jüdischer, deutschsprachiger Tscheche - als zwischen den Nationen, Religionen und Sprachen stehender Intellektueller, der sich nirgendwo zugehörig fühlte. Seine schwache Konstitution erschwerte ihm seinen Beruf als Versicherungsbeamter. Neben dem Grundkonflikt, sein dichterisches Schaffen mit dem Brotberuf zu kombinieren und sich in zäher Arbeit Texte abzuringen, schwankte Kafka lebenslang zwischen dem Wunsch, nur für das Schreiben zu leben, und der selbstkritischen Angst, diesem Anspruch nicht zu genügen, aber auch im bürgerlichen Leben zu versagen - etwa durch die Unfähigkeit, eine Familie zu gründen.

Kafkas Versuche, aus seiner Schreibwelt auszubrechen und eine Liebesbeziehung zu etablieren, resultierten in mehreren Leidensgeschichten und aufrührenden Briefen (Briefe an Felice, Briefe an Milena). Gleichzeitig lösten diese Beziehungskrisen bei Kafka Schreibimpulse aus, die in der frühen Phase zu Erzählungen wie Das Urteil, Die Verwandlung (1912), oder den Romanfragmenten Der Verschollene (1912) und Der Process (1914) führten. Einen zweiten Produktionsschub erlebte er 1916-17 (Landarzt-Erzählungen, Aphorismen). Seine letzte Schreibphase setzte 1922 ein, als er mit dem Schloss-Roman begann und später die letzten Erzählungen (Ein Hungerkünstler, Josefine, die Sängerin) schrieb. Die kreativen Perioden gaben Kafka die Genugtuung, seinen Lebenszweck zu erfüllen, zugleich aber fürchtete er den Verlust des Schreibvermögens. Um dem Versiegen der Inspiration vorzubeugen, hielt er den Schreibprozess mit Tagebucheinträgen in Gang.

Kennzeichnend für Kafka ist seine Sprachkunst, in der sich syntaktische Klarheit und große Detailgenauigkeit mit Rätselhaftigkeit des Inhalts verbindet, was zu Ambivalenzen führt, die sich kaum auflösen lassen. Eben darin liegt die Faszination dieses epochalen Werkes: Es appelliert an Leser aller Kulturen und verlangt Sinnzuweisungen, ohne sein Geheimnis preiszugeben oder sich festlegen zu lassen. Je nach Blickwinkel sind unterschiedliche Lesarten möglich, ohne das eine "richtige" Interpretation zu ermitteln ist. So kann Der Process gelesen werden als der vergebliche Kampf eines von anonymen Mächten bedrohten Individuums, das zuletzt dem Druck der Schuldzuweisung nachgibt und sich der Hinrichtung unterwirft, wofür die Gründe wiederum auf verschiedenen Ebenen gesucht werden können.

Kafkas Texte kreisen um problematische Familienstrukturen, Berufs- und Privatleben, paradoxe Alltagssituationen, Kunstausübung (Ein Hungerkünstler, Josefine, die Sängerin). In der mittleren Schreibphase beschäftigt er sich u.a. mit mythischen Figuren (Odysseus, Jäger Gracchus) oder mit religiös-philosophischen Gedanken in den Aphorismen. Das Schloss mit seinem verwirrenden Handlungsgang, den zahlreichen Figuren und den endlosen Gesprächen folgt der labyrinthischen Grundstruktur all seiner Werke: der 'Held' stößt stets auf neue Hindernisse, sein Ziel zu erreichen. Die Helfer, die er gewinnt, bringen ihn nur scheinbar weiter. Das Bewusstsein, im Kampf auf sich allein gestellt zu sein, übersteigt schließlich die Kräfte: die Texte brechen ab oder enden mit dem Tod des Protagonisten.

©BS

Wichtige Schriften

  • Franz Kafka: Gesammelte Werke in 12 Bänden nach der Kritischen Ausgabe, hg. von Hans-Gerd Koch, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/M. 1994.

Sekundärliteratur

  • H. Binder (Hg.): Kafka-Handbuch, 2 Bde, Stuttgart 1979.
  • R. Speirs / B. Sandberg: Modern Novelists: Franz Kafka, London 1997.
  • K. Wagenbach: Franz Kafka, Reinbek 1992.