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* 05.01.1921, Konolfingen
† 14.12.1990, Neuchâtel

Schriftsteller, Essayist, Maler

Friedrich Dürrenmatt, Sohn eines Berner Pastors, studierte zunächst zehn Semester Philosophie, bevor er sich dem Malen und Schreiben zuwandte. Seinen ersten Erfolg als Dramatiker erlebte er 1949 mit dem Stück Romulus der Große; die Stücke Der Besuch der alten Dame (1956) und Die Physiker (1962) verhalfen ihm zum internationalen Durchbruch. Mit den Kriminalromanen Der Richter und sein Henker (1950), Der Verdacht (1951), Das Versprechen (1958) und Justiz (1985) erreichte er eine über die Grenzen der Schweiz hinausreichende Popularität.

Dürrenmatt betrachtet sich als einen "Drauflosdenker" und einen "Gedankenschlosser", er denkt und inszeniert die Welt und ihre Katastrophen. Im Gegensatz zur brechtschen Verfremdung benutzt er die groteske Überspitzung als Mittel der Kritik. Die Welt ist gedankenlos, die Leute sind rücksichtslos, sagt er in Die Panne und kann eigentlich nur durch die tragisch-groteske Komödie dargestellt werden. "Unsere Welt hat ebenso zur Groteske geführt wie zur Atombombe", sagt der Autor in Theaterprobleme (1954). Ist die Welt grotesk, so müssen die Texte, die sie darstellen, auch grotesk sein. Er vertritt die Idee, wir seien alle kollektiv schuldig an dem grotesken Zustand der Welt, genau wie unsere Vorfahren. Bei Dürrenmatt bleibt es dem einzelnen mutigen Menschen, der rein individuell handeln kann, überlassen, sich gegen die desaströsen Zustände zu wehren. Exemplarisch für diese Haltung sind Möbius in Die Physiker und Ill in Der Besuch der alten Dame - Figuren, die in ihrem zum Scheitern verurteilten Widerstand ihre Humanität bewahren. Dürrenmatts Werke zeigen die "schlimmstmögliche" Wendung der Geschichte und räumen dem Zufall die Rolle des Beschleunigers auf dem Weg in die Katastrophe ein: "je planmäßiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer vermag sie der Zufall zu treffen", wie man in 21 Punkte zu den "Physikern" lesen kann.

Durch die Komödie kann eine gewisse Distanz geschaffen werden, so dass der Zuschauer / Leser die dargestellte Wirklichkeit erfassen kann. Das Problem dabei ist, dass diese Wirklichkeit selbst paradox ist und deshalb nur durch das Paradoxe darstellbar ist.

Dürrenmatt publizierte keine Tagebücher, wie etwa Max Frisch, sondern von 1979 an die Geschichte seiner Werke in Labyrinth. Stoffe I-III und Turmbau. Stoffe IV-IX. Seine Werke sind Inszenierungen des Denkens. Deshalb entstehen "Dramaturgien", etwa "Dramaturgie der Politik", "Dramaturgie eines Rebellen", "Dramaturgie der Vorstellungskraft", "Dramaturgie des Labyrinths". Seine Dramaturgien beziehen sich aber nicht direkt auf das Theater, sondern auf die Möglichkeiten, die Probleme der Welt bewusst zu machen und sie zur Darstellung zu bringen.

Eines der Grundthemen Dürrenmatts ist das Labyrinth, das ihn sowohl literatisch als auch zeichnerisch beschäftigt. "Das Labyrinth verstehe ich als Urbild für die totale Ausweglosigkeit: alle Fluchtwege erweisen sich als Illusionen: es gibt keine Lösungen, nur Irrwege", sagt der Autor in einem Gespräch mit Peter André Bloch. Das Labyrinth ist also eine Metapher für unsere Welt, die immer undurchschaubarer wird. Im Zentrum der Undurchschaubarkeit steht aber der Mensch selbst: "Diese Welt ist so, wie der Mensch sie macht" (Monstervortrag über Gerechtigkeit und Recht). Das Labyrinthische wird zuerst in den Erzählungen Die Stadt und Der Tunnel bildlich gezeigt, aber auch in der Geschichte Winterkrieg in Tibet, in der Novelle der Auftrag oder Vom Beobachten des Beobachters der Beobachter (1986) und im Roman Durcheinandertal (1989). Es durchzieht als Thema sein Gesamtwerk und kulminiert in der Ballade Minotaurus (1985). Kann oder wagt der Mensch, das Labyrinth zu verlassen? Trifft er dort den Minotaurus, den Stiermenschen der alten kretischen Sage? Der Minotaurus kann an jeder Ecke erscheinen, es herrscht ja der Zufall. Und Theseus kann ihn treffen und töten, oder auch nicht. Das Labyrinth existiert gleichzeitig im Menschen selbst und außerhalb, in der Welt, der Mensch ist Minotaurus und Theseus gleichzeitig. So sind Dürrenmatts Werke labyrinthische Visionen der paradoxen Welt, des paradoxalen Menschen.

© GVB

Wichtige Schriften

Sekundärliteratur