Allegorie

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Bevor es die Allegorie als Mittel der literarischen Rhetorik gab, entstand ihr Pendant – die Allegorese – als hermeneutische Methode. Man verteidigte die 'skandalösen homerischen Göttergeschichten', indem man darauf verwies, daß die Texte etwas anderes meinen, als sie im eigentlichen Wortsinn ausdrücken. Die Texte sind also eine Allegorie, ihre Bedeutung offenbaren sie erst auf einer zweiten, hinter dem direkten Wortsinn liegenden Ebene. Diese zweite Ebene steht jedoch zur ersten Ebene in einem Ähnlichkeitsverhältnis. Auch die Bibel-Allegorese arbeitet nach diesem Prinzip, wenn z.B. die Liebesdichtung des Hohen Liedes aus dem Alten Testament von Geistlichen umgedeutet wird.

Die Allegorie ist also eine bildliche Darstellung eines Gedankens bzw. eines Begriffs. Sie wird oft vom Symbol (Goethe) dadurch abgegrenzt, daß sie im Gegensatz dazu nicht nur das 'bedeutet', was sie darstellt, sondern es geradezu 'ist'. Dies wird besonders offensichtlich, wenn die Allegorie als Personifikation auftritt: Liebe als Amor, Justitia, Frau Welt etc.

Charakteristische allegorische Gattungsformen sind das Sprichwort ('Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht'), Satire und Parodie (z.B. Orwells Animal Farm), die Fabel sowie das biblische Gleichnis (z.B. Gleichnis vom Sämann, Markus 4, 3-8). Aber auch in der Dramatik können allegorische Strukturen sichtbar werden, z.B. in Brechts Drama Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui als Allegorie auf die bürgerliche Gesellschaft. Selbst Science Fiction und Western sind literarische Formen mit allegorischer Qualität. Das Leben auf einem fernen Planeten, in einer fernen Zeit oder im 'Wilden Westen' kann zum Sinnbild bestehender oder vergangener gesellschaftlicher Verhältnisse werden.

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