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Reportage

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frz. reportage: Berichterstattung

Die Gattungsbezeichnung Reportage umfasst im allgemeinen Sinne Tatsachenberichte, die in den verschiedensten publizistischen Medien zu finden sind. Als journalistische Gebrauchsform intendiert die Reportage gleichermaßen Information und Unterhaltung. Die Spannung zwischen diesen beiden Polen ist ein Charakteristikum der Reportage, die ihr unterschiedlichste Spielarten ermöglicht. Hier lassen sich zumindest zwei komplementäre Tendenzen festhalten: Zum einen ist die Information der Ausgangspunkt, um daran eine spannende Story anzuknüpfen, zum anderen bildet eine interessante Geschichte den Eingang, um in ihr zu vermittelnde Informationen einzubetten. Die zentrale Funktion der Reportage bleibt in jedem Fall die Vermittlung von spezifischen Ereignissen, die der Reporter (als Autor) für sein breites Publikum (als Adressat) besorgt und über ein spezifisches Medium vermittelt (Presse-, Rundfunk- und Fernsehreportage).

Wichtige Bestandteile der Reportage sind, dass sie - wie ein Augenzeuge - aktuell aus der unmittelbaren Situation heraus berichtet und deren unverwechselbare Atmosphäre einfängt. Sie versucht dabei die Fakten objektiv und zuverlässig, tendenz- und leidenschaftslos, meist kurz (und sprachlich oft im Präsens) wiederzugeben. Andererseits kommt als wesentliches Mittel der Darstellung die subjektive Sichtweise des Reporters hinzu. Auswahl und Anordnung des Berichteten, eigene Eindrücke und Wertungen können zu Sensationalismus oder Parteilichkeit - und in speziellen Fällen - zu Agitation führen. Für die Reportage entsteht damit ein weiterer charakteristischer Spannnungsbogen, der vom objektiven Anspruch in der Theorie zum subjektiven Gestalten in der Praxis reicht.

Eine größere Rolle als in der alltäglichen Medienreportage spielt die subjektive Perspektive in der literarischen Reportage. Ohne einerseits die Überprüfung der Wirklichkeit zu vernachlässigen und ohne andererseits die Grenze zur Belletristik zu überschreiten, verarbeitet die literarische Reportage die Fakten etwas freier, richtet ihr Interesse häufiger aufs Detail und versucht dabei, ihr typisches Grundmuster (Aufmacher - Berichtkern - Schlusspointe) ästhetisch und stilistisch anspruchsvoller zu variieren. Nachdem sich die Reportage als ursprünglich literarische Form im Umfeld der Massenpresse Ende des 19. Jahrhunderts etabliert hatte, erlebte sie in Deutschland während der zwanziger Jahre als literarische Reportage ihre Blütezeit. Im Vergleich mit dem Roman erschien die Form der Reportage seinerzeit als das leistungsfähigere Verfahren zu sein, um die Welt der Technik und der Industrie zu fixieren und zu vermitteln, besonders im Sinne der Neuen Sachlichkeit, die eine möglichst objektive und exakte Wiedergabe der Wirklichkeit postulierte. In der Weimarer Republik erreichte die literarische Reportage auch einen quantitativen Höhepunkt und wurde nicht selten als Mode-Erscheinung empfunden.

Ihr bedeutendster deutschsprachiger Vertreter war (neben Joseph Roth oder Heinrich Hauser) Egon Erwin Kisch, der wohl bis heute bekannteste Reporter (seit 1977 Egon-Erwin-Kisch-Preis für hervorragende Reportagen). Kisch schrieb unzählige Reportagen, die wegen ihres prägnanten Inhalts und literarischen Stils über den Tag hinaus Bestand hatten und sich auch in Buchform verkauften (Der rasende Reporter, 1924 u.a.m.). Daneben versuchte er als Theoretiker, der "Reportage als Kunstform und Kampfform" einen Platz im Feld der Literatur zu erobern. In der Bundesrepublik gab es erst während der sechziger und siebziger Jahre im Kontext der dokumentarischen Literatur neues Interesse für die Reportage. Wiederum waren dafür äußere Umstände maßgebend, etwa der Reflex auf die gewandelte Arbeitswelt und die daraus resultierenden Lebensbedingungen (Erika Runge: Bottroper Protokolle, 1967). Neben die betont literarische Reportage mit Affinität zum Feuilleton (z.B. Horst Krüger), traten etwa die (kritischen) Betriebsreportagen aus den Werkkreisen, die programmatisch an die proletarisch-revolutionäre Arbeiterliteratur der zwanziger Jahre anknüpften, sowie vor allem die wirkungsvollen Industriereportagen von Günter Wallraff (Wir brauchen dich, 1966; Ganz unten, 1985). Heute scheint die literarische Reportage - in Anbetracht der übergroßen Medienvielfalt und vieler Mischformen - nur noch eine Randrolle zu spielen.

© DH

Sekundärliteratur

  • M. Geisler: Die literarische Reportage in Deutschland, Königstein/Ts. 1982.
  • E. Schütz: Kritik der literarischen Reportage, München 1977.
  • Ch. Siegel: Die Reportage, Stuttgart 1978.