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* 23[?].4.1564, Stratford-upon-Avon
† 23[?].4.1616, Stratford-upon-Avon

englischer Dramatiker und Lyriker

Zu Shakespeare ist unüberschaubar viel gesagt und geschrieben worden. Erschwerend kommt hinzu, daß wir nach den Maßstäben historischer Exaktheit so gut wie nichts über "den" Shakespeare wissen, sondern sich vielmehr jede Epoche "ihren eigenen" Shakespeare zurechtgelegt hat. Was sollte man da als Germanist/in wissen?

Zum Beispiel kann man sich dem englischen Nationaldichter auf dem Weg über unseren "Olympier" nähern: Zwischen Goethe und Shakespeare lassen sich einige erhellende Linien ziehen. Beide haben im Laufe der Jahrhunderte eine so ausgeprägte Auratisierung erlebt, daß es dem (Laien-)Leser schwer fällt, ihren Texten unvoreingenommen zu begegnen - die Reaktionen schwanken in der Regel zwischen quasi-religiöser Verehrung und gelangweilter Ablehnung. Aber beide Autoren haben ihre schreibenden Nachfolgern im Wege kreativer Übernahmen oder auch Abgrenzung vielfach inspiriert. So füllt die Sekundärliteratur über beide Autoren nicht nur die sprichwörtlichen Regale, sondern ganze (mehrstöckige) Bibliotheken. Kurz: Beide sind in extremer Form zu dem gemacht worden, was man landläufig einen "Klassiker" nennt.

Wichtig sind aber zwei prägnante Unterschiede: Während Goethe eines der bestdokumentierten Leben der frühen Neuzeit führte, so daß wir über jeden einzelnen Tag seines Lebens unterrichtet sind, gibt es über Shakespeare kaum eine Hand voll überlieferter Dokumente, so daß über sein Leben fast nur Spekulationen möglich sind. Dies hat dazu geführt, daß die Datierung seiner Werke bis heute nicht genau geklärt ist und es beschert uns den komischen Effekt, daß seit Jahrhunderten immer wieder bestritten wurde, daß dieser vermeintlich ungebildete Kaufmann überhaupt in der Lage gewesen sein könnte, das kultisch verehrte Werk Shakespeares geschrieben zu haben. Nach den Theorien der "Anti-Stratfordianer" war dieser "Shakespeare", bei dem sogar die Schreibweise des Namens unklar ist, ein Strohmann für diesen oder jenen Angehörigen des Hochadels… - Ein zweiter prägnanter Unterschied liegt in der dramatischen Technik: Während der Theaterdirektor Goethe die Konflikte zumeist ins Innere der Figuren verlegt und stark reflektiert, geht es beim Theaterpraktiker Shakespeare - selbst nicht nur Autor, sondern auch Schauspieler und Leiter einer Theatertruppe - saftiger zu: er betont die Handlung stärker, es wird viel mehr gemordet (in den Tragödien und Historien) bzw. intrigiert und verwechselt (in den Komödien). Die speziellen Bedingungen der Shakespeare-Bühne bzw. des Elisabethnischen Theaters kommen als Spezifika hinzu: Fast ohne Bühnenbild oder Requisiten muß die Imagination der Zuschauer viel stärker durch sprachliche Mittel angesprochen werden als im späteren Guckkastentheater. Da schließlich zu Shakespeares Zeit (einer Blütezeit der Theaterbegeisterung) das Publikum stärker ständisch gemischt war als im bürgerlichen Theater, mußte sowohl den Bedürfnissen des adligen Publikums nach gebildeten Anspielungen als auch denen der niedrigen Stände nach spektakulären Effekten Rechnung getragen werden.

Auf engem Raum kann hier nur der "deutsche" Shakespeare interessieren: Traditionell - seit der ersten postumen englischen Gesamtausgabe wie den ersten deutschen Übersetzungen - wird sein Werk eingeteilt in Tragödien, Komödien und Historien (natürlich ist auch diese Einteilung umstritten). Hinzu kommen die enigmatische Sammlung seiner Sonette (mit der immer jungen Frage: wer ist die besungene "dark lady"?) und zwei Versepen. In Deutschland wurde er aber vor allem als Dramatiker rezipiert und stieß bei seiner "Entdeckung" im 18. Jahrhundert in eine Bedürfnislücke, die er bis zum heutigen Tag ausfüllt: Noch auf den gegenwärtigen Spielplänen der deutschsprachigen Bühnen ist Shakespeare der meistgespielte Autor. - In keinem anderen Land ist Shakespeare mit solcher Emphase aufgenommen worden: er war von Anfang an Idol der Dichtergenerationen, die sich jeweils "ihren" Shakespeare zurechtlegten. Zwei Aspekte seines Dichtens standen dabei im Vordergrund: Das Auftreten des "großen" Individuums bot den Vertretern des aufkommenden Bürgertums eine Vielzahl von Identifikationsmöglichkeiten und die offene Dramenform der Shakespearschen Stücke ein Gegenmodell zu den als künstlich empfundenen Vorschriften eines streng formal ausgerichteten französischen Klassizismus, wie ihn Gottsched für Deutschland forderte. Zum anderen regten gerade Shakespeares Historien den Entwurf eines eigenständigen nationalen Traditionsbewußtseins an, wie es sich im kleinstaatlichen Deutschland nicht hatte entwickeln können. Zudem fielen die ersten wichtigen Shakespeare-Übersetzungen zusammen mit der Vollendung einer vorbildlichen und einheitlichen deutschen Hochsprache, wie sie in der deutschen Klassik erreicht wurde. Zu nennen sind hier besonders die Übersetzungen von August Wilhelm v. Schlegel und Ludwig Tieck zu Beginn es 19. Jahrhunderts (und für das 20. Jahrhundert exemplarisch auch diejenigen Erich Frieds). Auch von daher galt (der übersetzte) Shakespeare als vorbildlich. Spätestens seit dieser Zeit war Shakespeare der "dritte deutsche Klassiker" und machte alle Höhen und Tiefen - vom Epigonentum bis zu Destruktionsversuchen - in der Auseinandersetzung mit den Klassikern mit.

© JK

Wichtige Schriften

  • William Shakespeare: Sämtliche Werke, übers. v. August Wilhelm v. Schlegel u. Ludwig Tieck, hg. v. Erich Loewenthal, 5. Aufl., Heidelberg 1987.

Sekundärliteratur

  • U. Baumann: Shakespeare und seine Zeit, Stuttgart 1998.
  • H.-D. Gelfert: Shakespeare, München 2000.
  • Shakespeare-Handbuch. Die Zeit - Der Mensch - Das Werk - Die Nachwelt, hg. v. I. Schabert, 4. Aufl., Stuttgart 2000.