Ein Erzähler kann entweder von Handlungen berichten oder er kann seine Figuren selbst zu Wort kommen lassen. Im ersten Fall kann man von der Erzählung von Ereignissen im herkömmlichen Sinne sprechen, während im zweiten "sprachliche Ereignisse" in Form von Worten und Gedanken der Figuren wiedergegeben werden. Die Erzählung ist also in jedem Fall der Sprechakt eines Erzählers, der allerdings wiederum Sprechakte seiner Figuren enthalten kann. Eine Figur kann sogar innerhalb eines Textes selbst zum Erzähler einer ausführlichen Geschichte werden - und zwar auf einer zweiten Erzählebene (vgl. Stimme des Erzählers).
Wo der Erzähler selbst über nicht-sprachliche Ereignisse berichtet, haben wir es mit einem sogenannten 'Erzählerbericht' zu tun. Bei der Wiedergabe der Rede oder der Gedanken von Figuren gilt es, wesentlich genauer zu unterscheiden. Der Erzähler kann durch die Wahl eines bestimmten Blickwinkels den Informationsfluß zwischen seiner Geschichte und dem Leser qualitativ regulieren (vgl. Fokalisierungstypen). Er kann aber auch mehr oder weniger nachdrücklich erzählen, indem er die Worte oder die Gedanken seiner Figuren mehr oder weniger originalgetreu wiedergibt. Die Mimesisfähigkeit (vgl. Mimesis) der verschiedenen Formen von Rede- und Bewußtseinswiedergabe steigt mit abnehmender Erzählerpräsenz an (vgl. für alle nachfolgenden Bestimmungen die Formen der Redewiedergabe).
Wie verhält es sich nun mit der Wiedergabe von Gedanken und Gefühlen der Figuren? Verschiedene Erzähltheoretiker vertreten die Ansicht, daß nicht nur Gedanken, sondern größtenteils auch Gefühle als sprachlich formulierte Rede betrachtet werden können. Nur daß diese "Rede" nicht laut ausgesprochen wird, sondern sozusagen "stumm" bleibt. Also kann man bei diesen unausgesprochenen Gedanken, Wahrnehmungen und Gefühlen - etwas paradox - auch von "stummer Rede" sprechen (vgl. Beispiele für Formen der Rede- und Bewußtseinswiedergabe). Halten wir zunächst fest, daß auch die "stumme Rede" oftmals durch eine 'inquit-Formel' angekündigt wird. In diesem Fall handelt es sich um ein 'verbum credendi', also ein Verb des Denkens, wie 'dachte, überlegte, glaubte ... sie oder er'. Auf diesem etwas unübersichtlichen und heiß umstrittenen Gebiet der Erzählforschung hat sich die amerikanische Germanistin Dorrit Cohn mit ihrem Buch Transparent Minds von 1978 sehr verdient gemacht. Deswegen wird neben den deutschen Bezeichnungen auch ihre Begrifflichkeit zu Rate gezogen. Im einzelnen ist vor allem zwischen Gedankenbericht, erlebter Rede und Innerem Monolog zu unterscheiden.
Zwischen den Formen der Rede- und Bewußtseinswiedergabe und anderen Kategorien der Erzähltextanalyse bestehen natürlich vielfältige Verbindungen. So wie beispielsweise der 'Rede-' und der 'Gedankenbericht' mit seiner starken Dominanz des Erzählers eng mit der auktorialen Erzählsituation verbunden ist, so bietet sich die Technik der erlebten Rede natürlich in der personalen Erzählsituation an (vgl. Erzählsituationen, Fokalisierungstypen). Außerdem dient beispielsweise der 'Innere Monolog' dem 'zeitdehnenden', der 'Gedankenbericht' dagegen dem 'zeitraffenden' Erzählen (vgl. Zeitraffung).
© SR
< Zurück | Weiter > |
---|