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* 08.11.1916, Nowawes Potsdam
† 10.05.1982, Stockholm

deutschsprachiger Schriftsteller

Als Sohn eines jüdisch-ungarischen, zum Christentum konvertierten Textilingenieurs und einer süddeutschen Schauspielerin wuchs Weiss in Bremen, Berlin und Wansdorf in Böhmen auf; das lebenslange Selbstgefühl der "Unzugehörigkeit" sah er später schon in Herkunft und Kindheit begründet. Gegen den Widerstand der Eltern, jedoch ermuntert von Hermann Hesse, studierte Weiss 1937/38 Malerei an der Prager Kunstakademie und unternahm erste literarische Versuche. In Schweden, wohin die Familie 1939 emigrierte, suchte er eine Künstlerexistenz zu begründen, gab die Malerei jedoch bald auf. Beeinflusst von Psychoanalyse und Surrealismus, widmete er sich in den fünfziger Jahren, inzwischen schwedischer Staatsbürger, der Filmarbeit. Prosatexte und ein erstes Drama thematisieren den lebensgeschichtlichen Komplex von Außenseitertum, Isolation und Flucht, fanden jedoch weder in Schweden noch in Deutschland Resonanz.

Mit der Publikation des schon 1952 verfaßten experimentellen Prosatextes Der Schatten des Körpers des Kutschers (1960) gewann Weiss erste Anerkennung. Sodann überraschte er mit dem Rückgriff auf die autobiographische Erzählform in der Erzählung Abschied von den Eltern (1961) und dem Roman Fluchtpunkt (1962). Nach dieser psychoanalytisch inspirierten Aufarbeitung der Sozialisationsgeschichte des Bürgerkindes und der Emanzipation des individualistischen Künstlers wandte Weiss sich historisch-kollektiven Problemen und Prozessen - und damit dem Theater zu. Sein Stück Die Verfolgung und Ermordung des Jean Paul Marat (1964), in dem er Widersprüche der Französischen Revolution und ihrer Folgezeit zuspitzte und spektakulär in Szene setzte, brachte ihm internationalen Erfolg ein. Mit dem nachfolgenden Dokumentarstück Die Ermittlung (1965), das sich auf den Auschwitz-Prozeß bezieht, gab Weiss hingegen der Aufarbeitung faschistischer Vergangenheit in beiden deutschen Staaten wichtige Impulse.

Das jahrzehntelang von Weiss verfolgte Projekt eines modernen Gegenstücks zu Dantes Divina Commedia ist mit diesen Stücken allenfalls bruchstückhaft realisiert worden; modellhaft steht es dann auch hinter dem ehrgeizigen Erzählwerk, an dem Weiss von 1971 bis kurz vor seinem Tod arbeitet. Die Ästhetik des Widerstands (3 Bde., 1975, 1978, 1981) verbindet Elemente einer fiktiven Autobiographie, des historischen Romans, des Essays und des Dialogs zu einem differenzierten Gesamtbild des antifaschistischen Widerstands in Europa, diskutiert Streitfragen, Krisen und Niederlagen der politischen Linken von 1918 bis 1945 und reflektiert über die Funktion der Kunst bzw. der künstlerischen Arbeit für diese Linke. Die ebenfalls 1981 publizierten Notizbücher 1971-1980 fügen dem Roman die Dokumentation und Reflexion seines Entstehungsprozesses hinzu. Nach anfänglich großem Unverständnis für das Werk hat Die Ästhetik des Widerstands in der Folgezeit ein breites Lesepublikum gefunden und lebhafte politisch-kulturelle Debatten ausgelöst. Das so neu erwachte Interesse an Weiss führte auch zu seiner frühen Malerei und Filmarbeit zurück. Im Rückblick erscheint Weiss als eine zentrale Figur der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur (zugleich als ein Nachzügler des antifaschistischen Exils). Im zunächst verwirrenden Wechsel der Medien, Gattungen, Schreibweisen vermag der genauere Blick doch eine fast existentielle Kontinuität zu entdecken: Die lebenslange Suche nach "Zugehörigkeit", nach einem "festen Ort" für das private wie das politische Handeln.

©JV

Sekundärliteratur