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Peter Bichsel

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* 24. 03. 1935, Luzern

Primarlehrer, freier Schriftsteller

Peter Bichsel war Lehrer, bevor er sich als Schriftsteller selbständig machte. Das Schulmeisterliche gehört zu seinen Texten, doch ist der moralisierende Ton mit den Jahren eher einem melancholischen gewichen, der sich durch all seine schriftstellerischen Arbeiten: Geschichten, Romane, Kurzprosa, Reden, Feuilletons und Zeitungskolumnen zieht.

Bichsel bezeichnet sich als "Wenigschreiber" - zu Recht, ließ er doch seine Leser nach den ersten Erfolgen Eigentlich möchte Frau Blum den Milchmann kennenlernen (1964) und den Kindergeschichten (1969) ganze 15 Jahre auf eine weitere literarische Veröffentlichung warten, bis 1985 der Erzählband Der Busant erschien. Bichsels Spezialität ist die Kleinform: die (Kurz-)Geschichte oder Prosa-Miniatur (wie in dem Band Zur Stadt Paris, 1991), der Essay, die Kolumne. Er bewundert an Johann Peter Hebel dessen "epische Breite in der Kürze". Wen wundert es, dass auch seine Romane kurz sind wie Die Jahreszeiten (1967) oder Cherubin Hammer und Cherubin Hammer (1999). Die Kritik hat den letzteren als "Roman in Pillenform" bezeichnet, der "vier Biographien im Streichholzformat" enthalte.

Wer über die Sprache, das Schreiben und das Erzählen reflektiert, weil er dies als Bedingung des Erzählens auffasst, riskiert zugleich die (eigene) Produktivität. Nachdenken steht dem Vielschreiben im Wege. Es behindert übrigens auch die Entschlussfähigkeit von Bichsels Figuren. Sie verharren in Gedankenspielen, die um Ideen und Wünsche kreisen (San Salvador), vermeiden aber Entschlüsse, oder ziehen Konsequenzen, die die Gesetze der Wirklichkeit außer Kraft setzen (Kindergeschichten). Das Risiko ist, dass "die eigene Sprache am Leben hindert". Bichsel hat das Phänomen an Hebel, an Robert Walser und Franz Kafka festgestellt - und wohl auch an sich selbst. Diese Hemmung, das Leben (oder den Traum) zu wagen, legt einen Schleier von Resignation über Bichsels Figuren, die zumeist in Verweigerung enden, selbst wenn ihr Nein sanft ist und kaum Spuren hinterlässt.

Doch fehlt Bichsels Schreiben der Bezug zur Realität keineswegs. Es gibt kaum einen Schweizer Autor der Gegenwart, der mit dem eigenen Land härter ins Gericht geht als Bichsel, der als jüngerer Freund Max Frischs auch dessen Engagement teilt. Für beide verbindet sich das Schreiben mit der Verpflichtung zur Gesellschaftskritik, eine Auffassung, mit der sie nicht allein stehen: "Und wenn es überhaupt so etwas gibt wie etwas Gemeinsames in der Deutschschweizer Literatur, dann ist es die Selbstverständlichkeit des politischen Engagements", schreibt Bichsel in einem Aufsatz. Wenn er seine politischen Frustrationen zum Maß der Dinge macht, klingt seine Polemik manchmal selbstgerecht. Dahinter aber steckt das Leiden des Schweizers an dem, was er liebt und was ihn maßlos enttäuscht: dass der Traum vom Liberalismus sich in der Schweiz nicht realisiert hat und alles "unverändert" geblieben ist, dass die "Relativität der Relationen" die Gesellschaft dominiert.

In den literarischen Texten macht es Bichsel seinen Lesern nicht leicht: hinter der scheinbaren Einfachheit verstecken sich genau durchdachte Strategien, die Ambivalenzen und Doppeldeutigkeiten erzeugen. Der sparsame Umgang mit Wörtern komprimiert schwierige existentielle Vorgänge, manchmal ganze Biographien, auf wenige Sätze. Umgekehrt erweist sich das Gewöhnliche und Unbedeutende, das er aufgreift, als pädagogisches Mittel, den Leser durch Identifikation in die Geschichte einzubeziehen.

Bichsel selbst hat seine Vorstellungen vom Schreiben in seinen Frankfurter Poetikvorlesungen dargelegt. Bekannt ist sein Diktum: "Mich interessiert, was auf dem Papier geschieht". Ausgehend von diesem Vorgang entwickelt er seine Poetik des Erzählens und des Lesens und definiert die Geschichte als einen Begriff einer Lebenspraxis, die so unentbehrlich sei wie das Lesen: "Solange es noch Geschichten gibt, solange gibt es noch Möglichkeiten". Geschichten sind ein Kommunikationsmittel und sollen etwas ausrichten. Lesen ist damit, ebenso wie Literatur, eine politisch-gesellschaftskritische Arbeit. Bichsel selbst ist ein großer Leser. Sein Horror: Literaturprofessoren, die sich über Literatur verbreiten, aber selbst nichts (mehr) lesen.

©BS

Wichtige Schriften

  • Eigentlich möchte Frau Blum den Milchmann kennenlernen (1964)
  • Kindergeschichten (1969)
  • Der Leser. Das Erzählen. Frankfurter Poetik-Vorlesungen (1982)
  • Zur Stadt Paris. Geschichten (1991)
Sekundärliteratur
  • H. Bänziger: Peter Bichsel. Weg und Werk, Bern 1998.
  • H. Hoven (Hg.): Peter Bichsel. Auskunft für Leser, Darmstadt 1984.
  • H. Hoven (Hg.): Peter Bichsel. Texte, Daten, Bilder, Hamburg 1991.