* 19.6.1947, Bombay
indischer Romancier
Am 14. Februar 1989 rief der iranische Religionsführer Ayatollah Khomeini die muslimischen Gläubigen dazu auf, den Schriftsteller Salman Rushdie umzubringen. Sein neuer Roman Die Satanischen Verse (1988) sei ein gotteslästerliches Werk, das den Propheten Mohammed verunglimpfe und die Offenbarung des Korans zu einem literarischen Mythos degradiere. Rushdies Buch wurde öffentlich verbrannt, seine Verleger und Übersetzer waren Verfolgung und Anschlägen ausgesetzt. Seit diesem Mordaufruf, der "Fatwa", ist Salman Rushdie ein weltweit bekannter, aber gleichzeitig auch der am meisten isolierte Autor. Zugleich gilt er aus "westlicher" Sicht als Symbolfigur für den Kampf um die Freiheit des Wortes. Bis 1998, als der iranische Präsident Chatami die "Fatwa" zumindest offiziell zurücknahm, musste Rushdie in ständig wechselnden Verstecken leben.
Der indische Schriftsteller, der von sich sagt, "moderat moslemisch erzogen" worden zu sein, hat in Cambridge Geschichte studierte und besitzt seit 1964 die britische Staatsbürgerschaft. Seinen literarischen Durchbruch - in englischer Sprache - hatte er bereits 1981 mit dem Roman Mitternachtskinder erzielt. Darin erzählt er die politische Geschichte Indiens in den Jahren von 1915 bis 1970, gespiegelt in einer Familiengeschichte. Nicht nur dass er hart mit den politischen Repräsentanten, insbesondere mit Indira Gandhi, ins Gericht geht - neu und außergewöhnlich an Rushdies Buch ist vor allem der Bruch mit der realistischen indischen Erzähltradition.
Um das autobiographische Gerüst, das an den spanischen Schelmenroman erinnert, ranken sich naturwissenschaftliche Raum- und Zeittheorien, Passagen, die die Grenze zwischen Wirklichkeit und Fiktion beständig überschreiten und Reflexionen über das Romangenre selbst. Immer interessiert den Historiker auch die Frage, wie Geschichte zu erzählen sei. Dabei knüpft er an die Tradition des mündlichen Erzählens (oral poetry) an, sprengt aber die Einheit der Geschichte in zahllose Episoden auf und versetzt sein Textgewebe mit einem schier unüberschaubaren Netz an literarischen Anspielungen. Fast scheint es, als wolle Rushdie das ganze Universum auf einmal erzählen. Diese Mischung heterogenster Elemente - wie Märchen und Science Fiction - ist auch für die späteren Romane und Erzählungen kennzeichnend geblieben.
In Die Satanischen Verse überleben ein indischer Filmschauspieler und ein Stimmenimitator auf wundersame Weise den Absturz eines von Terroristen gekaperten Flugzeugs. Fortan sind sie gegensätzliche Doppelgänger: der eine ein Heiliger, der andere ein Teufel. Gut und Böse aber können nicht streng geschieden werden, göttliche und satanische Verse vermischen sich. In diesem polyphon erzählten Text geht es allerdings weniger um die in Träumen und Visionen dargestellten Zweifel an der islamischen Religion, sondern um kulturelle Hybridität, das Leben von Migranten und Minderheiten. Die technisch versierte Gestaltung seiner west-östlichen Erfahrungen, die Auflösung der Opposition von Kolonisatoren und Kolonisierten haben Rushdie zu einem der wichtigsten Autoren postkolonialer Literatur werden lassen. Auch als politischer Beobachter und Kommentator ist seine Stimme unverwechselbar.
© SR
Sekundärliteratur
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