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lat. praedicare: öffentlich ausrufen, laut verkündigen

Die Predigt ist in der/den christlichen Kirche/n eine institutionalisierte Form der Rede, in der das Wort Gottes an die Gemeinde übermittelt wird. Sie ist begründet "im Auftrag Christi an die Jünger, in alle Welt zu ziehen und allen Völkern zu predigen". Im Mittelalter unterschied man zwischen dem rhetorisch kunstvoll ausgearbeiteten Sermon (der Klerikerpredigt, von lat. sermo, Rede), die thematisch gefasst war, und der volkstümlicheren Homilie (Laienpredigt, von lat. humilis, niedrig, demütig), die als Textauslegung konzipiert ist und mit der Ausbreitung der Bettelorden im (späteren) Mittelalter größere Bedeutung gewann. Früheste Beispiele von deutschen Predigtübersetzungen (aus dem Lateinischen) sind die Monseer Fragmente vom Ende des 8. und die Wessobrunner Predigtsammlungen aus dem 11. Jahrhundert. Der bekannteste deutsche Volksprediger des Mittelalters ist Berthold von Regensburg (1210-1272).

Die Wirkung der Predigt als wichtigster Form öffentlicher Rede (eines vorbildlich lebenden Predigers) bis in den Feudalismus hinein ist nicht zu überschätzen. Alle gesellschaftlichen Bereiche wurden von ihr erfaßt. Bedeutend war auch ihr Einfluß auf die Herausbildung der deutschen Sprache und Literatur. So konnten in der Homilie neue Prosaformen entwickelt werden: Satirische, humoristische und komische Elemente bildeten Alternativen zum starren Korsett der antiken Rhetorik. Schon früh gab es Sammlungen lateinischer Predigten als Vorbild oder Materialspeicher, später auch für den erbaulichen Hausgebrauch auf Deutsch (die sog. Postille). Dort findet man die Predigten sortiert nach Sonntagen und Festtagen des Kirchenjahres.

Im Mittelalter war besonders die dominikanische Predigt an der Ausbildung der deutschen Mystik (Meister Eckhart) beteiligt. Zur Auseinandersetzung mit Martin Luther und seiner Theologie dient die (katholische) Predigt in der Reformationszeit (Thomas Murner, Abraham a Sancta Clara), während die protestantische Predigt als Auslegung einer Bibelstelle den Kern des Gottesdienstes und einen Modellfall theologischer Hermeneutik bildete. In immer neuen Varianten wurde im Barock die Predigt ausgeschmückt und in zahlreichen Sammlungen verbreitet; besonders populär wurde mit seinen drastisch-bildhaften Predigen gegen Pest und Türkengefahr der katholische Mönch Abraham a Sancta Clara (Johann Megerle).

Die Gegentendenzen findet man in der Epoche der Aufklärung: Nüchterne Belehrung verdrängte das Ornament. Die pietistischen Predigten eines Hermann August Francke konzentrieren sich in eindringlich-einfacher Sprache auf den einzelnen Gläubigen und seinen Weg zum Seelenheil. Im 19. Jahrhundert hat vor allem die protestantische Predigt enge Berührung mit der idealistischen Philosophie und der Literatur: Johann Gottfried Herder in Weimar und Friedrich Schleiermacher in Berlin gelten als die bedeutendsten Kanzelredner ihrer: stilistische Einflüsse der Predigt zeigen sich in den Werken von Johann Peter Hebel, Jeremias Gotthelf und Eduard Mörike. Bevor im frühen 20. Jahrhundert die Dichtung selbst quasi-religiöse Ansprüche formuliert (bei Rainer Maria Rilke, im Kreis Stefan Georges, und in nihilistischer Wendung auch beim frühen Bertolt Brecht), zeichnet sich jedoch ein immer breiterer Spalt zwischen bürgerlicher Kultur und der in den Predigten ausgedrückten christlichen Weltordnung ab.

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Sekundärliteratur

  • K.F. Daiber: Predigt als religiöse Rede, München 1991.
  • F. M. Eybl: Predigt, katholische; W. Gräb: Predigt, protestantische, in: W. Killy (Hg.): Literaturlexikon, Bd. 14, München 1993, S.229-235.
  • G. Ueding: Grundriß der Rhetorik, Stuttgart 1994.