In der Poetik des Aristoteles werden sowohl die Lyrik, die Epik als auch die Dramatik als Nachahmungen charakterisiert. Tragödiendichtung ist Mimesis von Lebenswirklichkeit und handelnden Menschen, diese Menschen sind entweder gut oder schlecht. Die Scheidung von guten und schlechten Menschen konstituiert auch die poetologische Unterscheidung von Tragödie und Komödie: "Die Komödie sucht schlechtere, die Tragödie bessere Menschen nachzuahmen, als sie in der Wirklichkeit vorkommen." (S. 9) Hier finden wir die Keimzelle der bis ins 18. Jahrhundert vorherrschenden Ständeklausel, die die Tragödie für das adlige Personal reservierte, die Bürger und Bauern hingegen auf die Komödie verwies. Es ging darum, die schlechteren Menschen nicht in ihrer Schlechtigkeit an sich darzustellen, "sondern nur insoweit, als das Lächerliche am Häßlichen teilhat. Das Lächerliche ist nämlich ein mit Häßlichkeit verbundener Fehler, der indes keinen Schmerz und kein Verderben verursacht." (S. 17) Der schlechtere Mensch soll in seiner Lächerlichkeit bloßgestellt und verlacht werden.
Warum haben sich aber diese beiden Formen des Dramas entwickelt? Auch auf diese Frage hat Aristoteles eine Antwort: Es war das Wesen der Autoren, das die Tragödie von der Komödie schied, denn "die Dichtung hat sich hierbei nach den Charakteren aufgeteilt, die den Autoren eigentümlich waren. Denn die Edleren ahmten gute Handlungen und die von Guten nach, die Gewöhnlicheren jedoch die von Schlechten." (S. 13)
Wichtigstes strukturelles Merkmal der Tragödendichtung ist die Geschlossenheit. Dies bezieht sich einerseits auf eine 'geschlossene Handlung': "Die Tragödie ist Nachahmung einer guten und in sich geschlossenen Handlung von bestimmter Größe, in anziehend geformter Sprache." (S. 19) Andererseits zeigt sich die Geschlossenheit der Tragödie in der 'Einheit der Zeit und des Ortes': Ihre zeitliche "Ausdehnung [...] versucht sich nach Möglichkeit innerhalb eines einzigen Sonnenumlaufs zu halten oder nur wenig darüber hinauszugehen." (S. 17) Sie besitzt als ein Ganzes Anfang, Mitte und Ende. "Demzufolge dürfen Handlungen, wenn sie gut zusammengefügt sein sollen, nicht an beliebiger Stelle einsetzen noch an beliebiger Stelle enden, sondern sie müssen sich an die genannten Grundsätze halten." (S. 25)
Welches Ziel verfolgt Aristoteles mit der Festschreibung dieser Grundsätze? Es geht ihm darum, eine größtmögliche Nachvollziehbarkeit der Handlung durch das Publikum zu erzeugen. Denn der Zweck der Tragödie ist es, Jammern (eleos) und Schaudern (phobos) hervorzurufen, um eine Reinigung (katharsis) des Zuschauers herbeizuführen.
©rein
< Zurück | Weiter > |
---|