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Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik (1835-1838)

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Hegel spricht in seinen Vorlesungen über die Ästhetik, die er zwischen 1817 und 1829 gehalten hat, nicht vom Schönen in der Natur, sondern vom Schönen in der Kunst. Dieses durch den Menschen gestaltete Schöne steht für ihn über dem Naturschönen, weil [es] aus dem Geist geboren ist. Dieser Argumentation folgend ist Kunst nicht nur Abbild/Mimesis von Natur, denn das würde bedeuten, daß die Kunst beim Natürlichen stehen bliebe und nicht zum Geistigen vordränge. Kunst geht vielmehr aus der absoluten Idee hervor, sie ist sinnliche Präsentation des absoluten Geistes als Ideal. Die Betonung liegt hier auf dem Adjektiv 'sinnlich', denn die eigentliche, reinste Darstellung der Wahrheit, der Ideen, des Geistes sieht Hegel in der Philosophie. Nur dort findet sich das freie Denken des absoluten Geistes, nur dort ist die Region der Wahrheit an sich selbst, nicht des relativ Wahren. Zwischen Philosophie und Kunst als Formen des absoluten Geistes steht die Religion. Der Mangel der Religion liegt nun darin, daß das 'Absolute' hier nicht, wie in der Philosophie begriffen, sondern bloß vorgestellt wird, für den endlichen Geist also noch ein An-sich-Seiendes ist.

Diese Darstellung des Absoluten als Ideal muß wiederum als Idealziel der Kunst begriffen werden, das in den einzelnen Kunstepochen in der Menschheitsgeschichte mehr oder weniger verwirklicht wurde. Hegel unterteilt die epochalen Formen der Kunst in symbolische Kunst, klassische Kunst und romantische Kunst.

Die kulturhistorisch früheste und in sich unentwickeltste Form des Kunstschönen ist die symbolische Kunst. Sie ist Ausdrucksform der orientalischen Früh- und Hochkulturen und entspricht einer – modern gesprochen – naturmagischen "Weltanschauung". Sie ist geprägt durch eine ausgeprägte Distanz zwischen der Idee, die selbst noch unbestimmt und unklar ist, und der Gestalt, die meist von Naturerscheinungen abgeleitet ist (z.B. Tiergestalt der Götter). Die Unangemessenheit von symbolischem Material und Idee, Ausdruck der Grenzenlosigkeit und Maßlosigkeit des Absoluten führt zu einer Gestaltung, die die Formen der Kunst ins Phantastische oder Gigantische verzerrt. Als dominierende Kunstgattung sieht Hegel auf dieser Stufe die Architektur und hierbei vor allem die Sakralbauten (z.B. die Pyramiden).

Die klassische Kunstform ist nichts anderes als die historische Realisierung des zuvor schon philosophisch bestimmten Ideals: die freie adäquate Einbildung der Idee in die zugehörige Gestalt, mit welcher sie deswegen in freien, vollendeten Einklang zu kommen vermag. Die historische Epoche, in der die klassische Kunst realisiert wird, ist die griechische Antike. Und diejenige Kunstgattung, in der sie sich vor allem darstellt, ist die Skulptur. Denn diejenige Gestalt, welche die Idee als geistige [...] an sich selbst hat, ist die menschliche Gestalt. Und die Bildhauerei ist – zumindest nach Hegels Auffassung – wie keine andere Kunst zur Darstellung dieser Gestalt prädestiniert.

Das Zerbrechen der klassischen Kunstform und ihr Übergang in die romantische bedeutet bereits ein Überschreiten der Kunst innerhalb ihrer Grenzen. In der romantischen Kunst, die das europäische Mittelalter und die Neuzeit bis hin zu Hegels Gegenwart (also bis zur Romantik im engeren Sinne) umfaßt, macht sich wenngleich auf höhere Weise, wiederum die Diskrepanz zwischen Idee und Gestalt geltend. Die Idee der christlichen Religion kann nicht mehr adäquat in individueller Gestalt dargestellt werden, denn sie ist nicht mehr individueller, besonderer Geist, sondern absoluter Geist, oder selbstbewußte Innerlichkeit. Dem sinnlich gegenwärtigen Gott der klassischen Kunstform gesellt sich nun die Gemeinde als eben jene beseelende Subjektivität und Innerlichkeit bei. Die Einzelheit des Gottes in der Skulptur zerfällt in die Vielheit vereinzelter Innerlichkeit, deren Einheit eine schlechte ideelle ist. Entsprechend wird für den Kunstinhalt wie für das Material die Partikularisation das bestimmende Prinzip. So sind es dann auch die weniger materiellen Künste, vor allem Poesie, sowie Malerei und Musik, in denen sich die romantische Kunst äußert. An ihnen erscheint der sinnliche Stoff (Farbe, Ton und Wort als Bezeichnung für innere Anschauungen) an sich selbst gesondert und ideell gesetzt, so daß er dem Gehalt dieser Sphäre am meisten entspricht. Dabei sind es vor allem die aus der Dominanz der Innerlichkeit resultierenden subjektiven Verzerrungen, die Hegel fratzenhaft erscheinen und ihn zu seiner Abwertung dieser subjektiven Kunst nötigen (z.B. steht das mittelalterliche christliche Ritterepos für ihn weit unter dem antiken Epos, besonders den homerischen Epen).

Nur in der Antike sieht Hegel also die Funktion der Kunst vollkommen erfüllt. Denn in der griechischen Antike gewannen die Menschen eine Vorstellung vom Absoluten als einer freien Subjektivität, und damit als einer Wirklichkeit, in welcher der Mensch bei sich selber ist. Sowohl in der Heroenzeit als auch in der Polis sieht er die Identität von Subjektivität und Substantialität verwirklicht. Die Kunst dieser Stufe ist eine objektive, denn die Durchdringung von Idee und Wirklichkeit, von Allgemeinem und Besonderem erlangt hier ihre Vollendung. Daher ist die Kunst auch die angemessenste Form, in der sich der absolute Geist entäußert. In den Tempel, ursprünglich hervorgebracht von der symbolischen Kunstform, tritt sodann der Gott selber ein.

Die drei Epochen der Kunst bestehen im Erstreben, Erreichen und Überschreiten des Ideals als der wahren Idee der Schönheit. Mit dieser Hochschätzung gerade der griechisch-antiken Kunst steht Hegel nicht alleine, viele bedeutende Denker seiner Epoche (Goethe, W. v. Humboldt und sogar Marx) teilten diese Einstellung. Sie alle sahen in der griechischen Antike einen unwiederbringlich vergangenen Gipfel der Kulturentwicklung.

Trotzdem ist Hegels Wertschätzung der Antike eine besondere, denn sie basiert auf seiner These, daß die Kunst der Antike den Ausdruck des absoluten Geistes, der absoluten Wahrheit am vollkommensten leistet. Es geht also nicht nur um ästhetische Kategorien. Und wenn Hegel vom Ende der Kunst spricht, meint er nicht, daß die Kunst historisch absterbe, sondern nur, daß ihre Bedeutung für die Erkenntnis des Wahren sich relativiert hat. Man kann wohl hoffen, daß die Kunst immer mehr steigen und sich vollenden werde, aber ihre Form hat aufgehört, das höchste Bedürfnis des Geistes zu sein.

©JV/rein

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