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Volksliedstrophe

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Die Volksliedstrophe ist, wie der Name schon sagt, die Form des einfachen Volkslieds und daher von formaler Schlichtheit geprägt. Nicht nur im immer noch meist mündlich übertragenen Kinderlied, auch im Kirchenlied wird diese Strophenform gerade wegen ihrer Eingängigkeit und Einprägsamkeit viel benutzt. Herders Rückbesinnung auf die traditionellen Formen und die unter dem Titel Des Knaben Wunderhorn von Achim von Arnim und Clemens Brentano Anfang des 19. Jahrhunderts herausgegebene Anthologie deutscher Volkslieder führten zu einer Wiederentdeckung dieser einfachen Form in der Lyrik.

Die Verse der Volksliedstrophe sind meist alternierend, es besteht aber Füllungsfreiheit, d. h. einer Hebung können auch zwei Senkungen folgen. Der Zeilenanfang kann sowohl auftaktig (jambisch) als auch auftaktlos (trochäisch), das Ende betont (männlich) oder unbetont (weiblich) sein. Mit drei oder vier Hebungen ist der Volksliedvers relativ kurz. Eine Volksliedstrophe besteht meist aus vier, manchmal auch aus sechs Versen, die immer gereimt sind (Kreuz- oder Paarreim). Entscheidend ist, daß in jedem aus Volksliedstrophen bestehenden Gedicht, eine Variante dieser Strophenform für das ganze Gedicht verbindlich ist.

Hier drei Beispiele, die auch einen Eindruck von der Variationsbreite dieser Strophenform geben, zunächst der Anfang des als Volkslied bekannten Gedichtes von Matthias Claudius (S. 21 f.):

Der Mond ist aufgegangenDer Mond ist aufgegangen,
Die goldnen Sternlein prangen
Am Himmel hell und klar
Der Wald steht schwarz und schweiget,
und aus dem Wiesen steiget
der weiße Nebel wunderbar.

Die sämtlich dreihebigen Verse beginnen alle auftaktig, sind streng alternierend und schließen unbetont (1, 2,4,5) oder betont (3, 6). Einem Paarreim folgt ein umarmender Reim. Die Volksliedstrophe findet sich auch in moderner Lyrik, wie etwa in Ingeborg Bachmanns Gedicht Bleib (S. 65):

Die Fahrten gehn zu Ende,
der Fahrtenwind bleibt aus.
Es fällt dir in die Hände
ein leichtes Kartenhaus.

Auch diese Strophe ist durch streng alternierende jambische Verse gekennzeichnet, die durch einen Kreuzreim miteinander verbunden sind. Im Unterschied zu dem ersten Beispiel enden die ausschließlich dreihebigen Verse hier aber abwechselnd unbetont und betont. Eine andere Variante der Volksliedstrophe benutzt Goethe in seinem Liebesgedicht Lina (S. 645):

Liebchen, kommen diese Lieder
Jemals wieder dir zu Hand,
Sitze beim Klaviere nieder,
Wo der Freund sonst bei dir stand.

In diesem Gedicht beginnen alle Verse auftaktlos (trochäisch), sind alternierende Vierheber und enden abwechselnd unbetont und betont. Das Reimschema ist auch hier der Kreuzreim.

©TvH

Quellen

  • Matthias Claudius: Der Mond ist aufgegangen, in: Deutsche Volkslieder, hg. v. Ernst-Lothar von Knorr, Stuttgart 1998.
  • Ingeborg Bachman: Bleib, in: dies.: Anrufung des Großen Bären, München 1983.
  • Johann Wolfgang Goethe: Lina, in: ders.: Gedichte 1756-1799, hg. v. Karl Eibl, Frankfurt/M. 1987.

Sekundärliteratur

  • H. Bausinger: Formen der "Volkspoesie", Berlin 1968.
  • G. Müller: Geschichte des deutschen Liedes, München 1925 (Nachdruck Darmstadt 1959).