griech. bios gráphein: Lebensbeschreibung
Der Begriff Biographie wird heutzutage nur noch als Bezeichnung für die literarisch-künstlerische oder wissenschaftliche Beschreibung eines fremden Lebens verwendet, da die Selbstbeschreibung seit dem 18. Jahrhundert in der Autobiographie eine eigenständige Form mit ausgeprägtem Profil entwickelt hat. Einige Nebenformen innerhalb der Biographik sind der biographische Essay, das literarische Porträt oder auch der biographische Roman. Biographien stehen stets in einem Spannungsverhältnis zwischen Kunst und Wissenschaft, zwischen Gebrauchs- und fiktionalen Texten - und historisch gesehen auch zwischen Literatur- und Geschichtswissenschaft. Weiter ist zu fragen, inwieweit sich das Verhältnis vom Einzelnen zum Allgemeinen auswirkt - also: kann ein einzelnes Leben als exemplarisch für eine Epoche gelten? Machen wirklich "große Männer die Geschichte"? Im Fall einer literaturwissenschaftlichen Dichterbiographie - d.h. einer Biographie, die sich unter streng wissenschaftlichen Ansprüchen (etwa in Fragen der genauen Quellenkritik) Leben und Werk eines Autors widmet - stellt sich zudem stets die Frage, inwieweit das Leben des Autors und sein Werk gleichzusetzen sind bzw. wie deren Verhältnis zueinander auszutarieren ist.
Die Biographie in ihrer historischen Entwicklung ist stets Spiegel der herrschenden Auffassungen vom Individuum. Die relativ konstanten Muster der biographischen Formen in Antike und Mittelalter erklären sich vor dem Hintergrund festgefügter Weltbilder und relativ stabiler Sozialbeziehungen des Einzelnen. Biographien führen dann - vereinfacht gesagt - exemplarisch vorbildliche oder abschreckende Lebensverwirklichungen vor. In diesem Verständnis konnten sich auch Sammelbiographien (etwa nach Berufsgruppen strukturiert) einer gewissen Beliebtheit erfreuen. Erst in der Moderne lösen sich die starren Formen auf, da jetzt in komplexen und differenzierten Gesellschaftsformen weit unterschiedlichere Möglichkeiten der Lebensführung deutlich werden. Eine durch Anonymisierung und Entfremdung bestimmte Welt steigert das Interesse an Beispielen individueller Lebensgestaltung. Das führt zu der These, die Biographie sei ein Produkt gesellschaftlicher Krisenzeiten. Wir finden deshalb noch in den Massenmedien Schwundformen der Biographie in Interviews, Klatschspalten, biographischen Reportagen und Filmen (sog. Biopics).
Die Geschichte der biographischen Formen beginnt in der Antike mit den zahlreichen rhetorischen Formen der Würdigung öffentlicher Personen (z.B. Toten- oder Festreden). Vor allem Sanmelbiographien waren bis weit ins Mittelalter beliebt, in dem vor allem Heiligenviten (mit Übergang zur Legende) gesammelt wurden. In der Renaissance verlagert sich der Blickwinkel auf bürgerliche Berufsgruppen, aber erst im 18. Jahrhundert beginnt sich die Form der Biographie eines herausragenden (bürgerlichen) Individuums durchzusetzen, zumeist noch in biographischen Kleinformen wie etwa dem Essay. Das 19. Jahrhundert vollzieht den Schritt zur "großen" Biographie mit zwei Schwerpunkten: In der politischen Biographie wird das Leben "großer Männer" beschrieben, die "die Geschichte machen"; in den geisteswissenschaftlichen Biographien stehen herausragende Künstler und Wissenschaftler im Mittelpunkt. Während positivistisch orientierte Biographen ganze Faktenberge ansammeln, unter denen das beschriebene Individuum zu verschwinden droht, gibt es auf der anderen Seite eine Fülle von trivialen historisch-biographischen Romanen. Im 20. Jahrhundert lebt diese Form biographischer Belletristik fort: Die Popularbiographie, die sich - mal rührselig, mal voyeuristisch - den "Großen" dieser Welt nähert, beherrscht bis heute den Büchermarkt. Daneben gab und gibt es aber auch sehr anspruchsvolle Formen (psychologisierender) Biographien, die sich um eine Vermittlung zwischen wissenschaftlichen und künstlerischen Ansprüchen bemühen.
© JK
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