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* 25. 01. 1882, London
† 28. 03. 1941, Freitod in der Ouse bei Lewes, Sussex

englische Schriftstellerin, Essayistin, Literatur- und Kulturkritikerin

Adeline Virginia Stephens wird kurz vor 1900 in die Ober- und Bildungsschicht der spätviktorianischen Gesellschaft Londons hineingeboren. Ihre labile psychische Verfassung lässt sie nach dem Tod des Vaters 1904 einen ersten Suizidversuch unternehmen. Danach zieht sie mit ihren Brüdern und ihrer Schwester Vanessa nach Bloomsbury, wo sie den Mittelpunkt der avantgardistisch-intellektuellen "Bloomsbury Group" bilden. 1912 heiratet Virginia den Schriftsteller Leonard Woolf. Ihr Leben wird immer wieder durch mentale Zusammenbrüche erschüttert und bleibt von Todessehnsucht geprägt.

Ihr Werk ist avantgardistisch: eine Reaktion gegen literarische Tradition und Versuch, neue Wege des Erzählens zu finden. Sie zählt als erste Frau zu den Vertretern der klassischen Moderne und entwickelt (etwa zeitgleich mit James Joyce) die Erzähltechnik des stream of consciousness (Bewusstseinsstrom oder innerer Monolog) - bahnbrechend und radikal vor allem in dem Roman Die Fahrt zum Leuchtturm (To the Lighthouse) von 1927. Ähnlich wie Joyce und in gewisser Weise auch in der Tradition von Henry James werden mit ihrer Hilfe kleine Zeitausschnitte aus dem Leben der Figuren beschrieben: in Mrs. Dalloway (1925) zwölf Stunden aus dem Leben der Titelfigur; in Die Fahrt zum Leuchtturm zwei Tage aus dem Leben der Familie Ramsay, die multiperspektivisch, als Montage verschiedener "Bewusstseinsströme" erzählt werden. Nur aus dem Kontext ergibt sich, welche Person gerade 'spricht'. Gern spielt Woolf auch mit dem Missverhältnis von Erzählzeit und erzählter Zeit, der "discrepancy between the time on the clock and the time on the mind". Die Intensität räumlichen Empfindens - beispielsweise in Die Wellen (1931) - unterscheiden ihren Stil klar von dem eines James Joyce. Oft wird ihre Schreibweise daher mit Malerei verglichen; insgesamt ist sie dezidiert modernistisch zu nennen: die Empfindungen der einzelnen Personen, die Spiegelung ihres Inneren werden wichtiger als äußere Handlung.

Ihre biographischen Arbeiten umfassen Werke wie den Publikumsschlager Orlando (1928), zu dem sie durch die Liebesbeziehung zu Vita Sackville-West angeregt wird, aber auch Flush (1933), ein Porträt des Hundes von Elizabeth Barrett-Browning. Essayistisch setzt sich Woolf vor allem mit Schriftstellerinnen wie Jane Austen, Dorothy Wordsworth und George Eliot - nicht selten auch kritisch - auseinander. In (auto)biographischer Hinsicht notiert sie einmal in ihrem Tagebuch: Besitze ich die Kraft, die wahre Wirklichkeit wiederzugeben? Oder schreibe ich nur Essays über mich selber?

Modernistisch ist auch die ständige Reflexion der eigenen schriftstellerischen Produktion und ihrer Probleme in Essays und Vorträgen wie Mr Bennet und Mrs Brown (1924), in dem sie über die Personen im modernen Roman spricht. In dem Band Der gewöhnliche Leser (1925) erscheint der schon 1919 geschriebene Essay Moderne Romankunst, der die Bewusstseinstrom-Technik im Ulysses begeistert kommentiert und Joyce einen Spiritualisten nennt, der sich mutig über alle Konventionen der "Leserführung" hinwegsetzt.

Für die feministische Literatur(wissenschaft) und die Frauenbewegung insgesamt hat vor allem der Essay Ein Zimmer für sich allein (A Room of One's Own, 1929) gewonnen, der fordert, dass auch die Frau einen "Raum für sich allein" beanspruchen soll, besonders, wenn sie Schriftstellerin werden will. Dabei müssen Frauen bewusst neue Wege gehen: The values of a woman are not the values of a man. Oft wird Virginia Woolf mit Ingeborg Bachmann verglichen. Dies ist nicht nur wegen der thematischen Hinwendung zu einem weiblichen Bewusstsein plausibel, sondern weil beide auch formal eine weibliche Produktionsästhetik verfolgen bzw. um innovative (weibliche) Wege einer Darstellung der (weiblichen) Wahrnehmung ringen.

In Virginia Woolfs gesamtem Werk wird ihre Entfremdung von der patriarchalen britischen Gesellschaft - und ihr ästhetischer Widerstand gegen sie - deutlich: durch ihre radikale Abkehr von traditionellen Schreibweisen wie auch durch die deutliche Akzentuierung frauenspezifischer Themen und die Betonung einer speziell weiblichen Sicht der Dinge, einer durchweg weiblichen Subjektivität.

© BB

Wichtige Schriften

Sekundärliteratur