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* 15.01.1911, Zürich
† 04.04.1991, Zürich

Schrifsteller, Essayist, Architekt

Max Frisch studierte zuerst Germanistik, später Architektur und betrieb zeitweilig ein Architekturbüro. Bereits in den dreissiger Jahren begann er mit dem Schreiben, seine ersten Erfolge erreichte er erst in den fünfziger Jahren.

Schreiben hat für ihn mit "Zeitgenossenschaft" zu tun, erst sie gibt ihm die Legitimation zum Schreiben. Er sieht die Schweiz und die Welt mit kritischem Blick, bezieht Stellung in vielen Essays und Artikeln. Als Zeitgenosse schreibt er von sich und der Welt in Geschichten, weil die Wahrheit, das Eigentliche, nicht erzählbar ist. Aber "alle Geschichten sind erfunden, Spiele der Einbildung, Entwürfe der Erfahrung, Bilder, wahr nur als Bilder". Frisch geht es um Selbstdarstellung, wie im Tagebuch 1946-1949 (1950) zu lesen ist, "schreiben heißt: sich selber schreiben". Mit dieser Problematik verbunden ist eines der Hauptthemen des Autors: "Du sollst dir kein Bildnis machen", ein Bildnisverbot, um festgelegte Lebensmuster zu vermeiden. Jeder muss mit sich selbst identisch werden, damit das Leben authentisch wird. Bildnisse verpflichten die Menschen dazu, Rollen zu spielen. Im Theaterstück Andorra (1961) wird dieser Gedanke gleichnishaft zugespitzt: Ein normaler "Andorraner", Andri, wird zu einem Juden gemacht, d.h., er verinnerlicht die Eigenschaften, die die anderen einem Juden zuschreiben, obwohl Andri kein Jude ist. Er wird, genau wie viele Figuren dieses Autors, fremdbestimmt, auf Bildnisse festgelegt und geht daran zugrunde.

Frischs Helden haben Angst vor der Wiederholung, vor einem immer gleich ablaufenden Alltag, der durch Rollenzuschreibungen und Bildnisse bestimmt ist. Der Roman Stiller (1954) fängt mit den Worten an: "Ich bin nicht Stiller". Aber die selbstzufriedenen Anderen sehen in ihm nicht den neuen Menschen, Mr. White, sie haben nur das alte Bild des Anatol Stiller vor Augen, bevor er verschollen ist. Auch in Mein Name sei Gantenbein (1964) flieht die Hauptfigur vor der Wiederholung: "Ich probiere Geschichten an wie Kleider". Die Erzähl-Figur hat die Möglichkeit, mit Rollen zu spielen, die Geschichten / Rollen verschachteln sich. Der Roman ist ein Anprobieren von Geschichten, von Biographien. Auch im Stück Biografie: Ein Spiel (1967) steht Kürmann vor der Möglichkeit einer Wahl: "Sie hatten die Wahl, Ihre Biographie zu ändern, das wünscht man sich manchmal, und was dabei herauskommt: Variationen des Banalen." Man flieht vor den Wiederholungen, kann ihnen aber nicht entfliehen. Im Roman Homo faber (1957) haben wir eine ähnliche Situation: Der Ingenieur Walter Faber ist ganz selbstsicher, steht im Bann der technologischen Euphorie. Sein Lebensweg wird jedoch ständig vom Zufall durchkreuzt, er wird zu einem modernen Ödipus, als er seine Tochter trifft, von deren Existenz er bislang nichts wusste. Er interpretiert die Geschehnisse aber falsch, weil sein Diskurs eigentlich nur aus Bildern besteht, er keinen eigenen Standpunkt hat. Auch nicht, was Frauen angeht, obwohl sie eine so zentrale Rolle in seinem Leben spielen. Seine Reisen - auch sie eine Wiederholung - sind ein Prozess der Selbsterkenntnis, der Suche nach Identität. Hanna, Walters ehemalige Gefährtin, sagt: "Du behandelst das Leben nicht als Gestalt, sondern als bloße Addition, daher kein Verhältnis zur Zeit, weil kein Verhältnis zum Tod."

In den parabolisch angelegten Theaterstücken konzentriert sich Frisch auf das Problem des "Ichs". Er zeigt, wie das Subjekt mit den Erfahrungen umgeht bzw. wie es die Außenwelt falsch interpretiert. So Herr Biedermann in Biedermann und die Brandstifter. Ein Lehrstück ohne Lehre (1958), der sich ständig anpasst, um Konflikte zu vermeiden, oder der Kaiser, der in Die Chinesische Mauer (1946, 1955) eine Mauer bauen lässt, um "die Zukunft zu verhindern", das heisst, um sein Bild der Welt (und seine Macht) nicht in Frage stellen zu müssen. Auch in Don Juan oder die Liebe zur Geometrie (1953) geht es um die Problematik der Rollenzuschreibung: die Hauptperson kann die nicht lieben, für die er mit seinem Name steht: Frauen. 33 Jahre alt, müde, entscheidet er sich für die Ehe, um sich damit seiner wahren Liebe widmen zu können, der Geometrie.

Im Spätwerk geht Frisch besonders auf die Beziehungsunfähigkeit und auf die Vergänglichkeit ein. Herr Geiser in Der Mensch erscheint in Holozän (1979) merkt, "Erosion ist ein langsamer Vorgang". Um am Leben zu bleiben, baut er auf das Gedächtnis, er klebt sein Wissen als Notizzettel an die Wand. Er ahnt das immer näher kommende Ende und will es gleichzeitig nicht wahrnehmen: "Die Natur braucht keine Namen. Das weiß Herr Geiser. Die Gesteine brauchen sein Gedächtnis nicht". Die Natur braucht ihn nicht.

© GVB

Wichtige Schriften

Sekundärliteratur