* 12.11.1915, Cherbourg
† 26.03.1980, Paris
Zeichen-, Kultur- und Literaturtheoretiker
Roland Barthes gehört zu den neugierigsten und anregendsten französischen Denkern der Nachkriegszeit. In stets unorthodoxer und provozierender Weise ist es ihm gelungen, verschiedene Theorien (Marxismus, Strukturalismus, Psychoanalyse, Dekonstruktion) aufzugreifen und zu vermischen, ihre Anwendung an den unterschiedlichsten kulturellen Objekten (Texte, Filme, Mode, Liebe etc.) zu demonstrieren und in die Wege zu leiten, um sich bald darauf einem neuen Gebiet zu widmen. Durch die Lektüre seiner Arbeiten läßt sich daher auch ein umfassender Einblick in die Entwicklung der jüngeren Literaturwissenschaft gewinnen.
Literatur ist für ihn jedoch nur ein Gegenstand unter vielen: Barthes ist Mitbegründer der Semiologie (Semiotik), der Wissenschaft vom Zeichen, die er zunächst als ideologiekritisches Mittel versteht, um die Mythen des Alltags in der französischen Gesellschaft aufzuspüren und ihre Funktionsweise unter Zuhilfenahme von sprachwissenschaftlichen Methoden aufzudecken: er betreibt "die subtile Analyse der Sinnprozesse, mit deren Hilfe die Bourgeoisie ihre historische Klassenkultur in universelle Natur verwandelte." (S.8 f.)
Später dienen ihm die semiologischen Methoden zur Analyse literarischer Werke. Zunächst beteiligt er sich an dem Projekt der strukturalen Analyse von Erzähltexten, d.h. dem Versuch, im Rahmen einer Art Erzählgrammatik universale Verknüpfungsstrukturen von narrativen (erzählenden) Textbausteinen zu erarbeiten. Fundamental ist dabei die Unterscheidung von handlungsfreien Segmenten - beispielsweise zur Charakterisierung einer Figur (Indizien) - und den Funktionen. Mit den letzteren kennzeichnet Barthes alle Segmente einer Erzählung, die handlungslogisch mit früheren oder späteren Segmenten verbunden sind und unter anderem der Spannungserzeugung dienen: "Der Kauf eines Revolvers korreliert mit dem Augenblick, in dem man ihn benutzen wird (benutzt man ihn nicht, so kehrt sich die Anmerkung um und wird zum Zeichen des Zauderns usw.) [...] Manche Erzählungen sind hochgradig funktionell (etwa die Volksmärchen), andere wieder hochgradig indiziell (etwa der 'psychologische' Roman)." (S. 111f.)
In seiner Studie S/Z distanziert sich Barthes von solchen Versuchen, das Besondere einer Erzählung auf das Erfassen allgemeiner Strukturprinzipien zu reduzieren. Dennoch folgt aus seiner Kritik an der formalistisch-strukturalen Werkanalyse keine Betonung des besonderen Inhalts eines Werkes. Vielmehr versteht er Literatur als ein sekundäres Zeichensystem, das sich parasitär der Sprache als Trägermaterial bedient. Intertextualität wird zu einer zentralen Kategorie: Lesen wird verstanden als ein Akt der Dekomposition, in dem es darum geht, den vorliegenden Text aufzulösen, indem man den mannigfaltigen Spuren der älteren Texte sowie den zahlreichen und verschiedenartigen Verbindungen des Textes mit den Lesern über das Geflecht der Kultur nachgeht.
Gleichzeitig zeichnet sich in S/Z Barthes‘ Entwicklung von einer wissenschaftlich-klassifizierenden zu einer literarisch-subversiven Schreibweise ab, was sich vor allem in der Aufhebung der Grenze zwischen dem Textgegenstand und der eigenen Schreibweise bemerkbar macht. Seine späteren Texte geraten zu Sammlungen von Fragmenten: voller Anspielungen und Spiegelungen der behandelten Gegenstände bereits auf der formalen Ebene, ohne jede hierarchische Ordnung umspielt und umschreibt Barthes Die Lust am Text sowie Fragmente einer Sprache der Liebe und macht in Über mich selbst das Schreiben des eigenen Lebens zum Gegenstand.
©pflug
Wichtige Schriften
Sekundärliteratur
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