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* 21.12.1639, La Ferté-Milon/Champagne
† 21.4.1699, Paris

In Jean Racine sieht die französische Literaturgeschichtsschreibung den Höhepunkt der klassischen Bühnendichtung im 17. Jahrhundert. Seine regelmäßigen fünfaktigen Tragödien erfüllen musterhaft die Forderungen der klassizistischen Regelpoetiken, der "doctrine classique" (Französische Klassik). Im Zentrum der dramatischen Konflikte steht der Kampf zwischen unbändigen Leidenschaften und Staatsräson.

Früh zum Waisen geworden, wuchs Racine vor allem im Kloster Port-Royal auf. Dort hatte die religiöse Reformbewegung der Jansenisten Schulen eingerichtet. In diesen Bildungseinrichtungen, die in Konkurrenz zu denen der Jesuiten standen, wurde der Rückzug aus den weltlichen Angelegenheiten und eine auf dem Kirchenlehrer Augustinus (354 - 430) basierende Gnadenlehre propagiert. Sie geht von der grundsätzlichen Verderbtheit des Menschen aus und lehrt die Erlösung nur weniger Auserwählter, während die Mehrheit verdammt bleibe. Dieser sprichwörtliche jansenistische Pessimismus verband sich für den späteren Dramatiker Racine folgenreich mit dem Studium der antiken Dichter, vornehmlich der Tragiker.

Der literarische Durchbruch gelang mit der Liebestragödie Andromaque (1667). Schon hier sind Racines Figuren von ihren Leidenschaften zerrüttet, die sie in Wahnsinn und Tod führen. In seinem Hauptwerk Phèdre (1677) wird der Konflikt zwischen individueller Liebesneigung und Loyalität gegenüber der königlichen Autorität verhandelt. Das Archaische, der Schrecken und die fürchterliche Macht des blinden Schicksals sind in Racines Tragödien jedoch in die gültigen Darstellungsnormen der "doctrine classique" eingebunden. Deswegen ist von der "klassischen Dämpfung" seines Stils gesprochen worden. Anstatt spektakuläre Aktionen auf der Bühne stattfinden zu lassen, hat Racine die Konflikte ins Innere der Handelnden verlegt. Er gilt als Meister der subtilen psychologischen Beobachtung und vor allem der Umsetzung dieser inneren Regungen in eine äußerst nuancierte Sprache, die oft in die Nähe der Lyrik gerückt worden ist.

Im Unterschied zu Corneille gibt es bei Racine keinen freien Willen, der Held ist nicht mehr Herr seiner Entscheidungen, das selbstbestimmte Subjekt wird verabschiedet. Schlagwortartig läßt sich dieses Menschenbild als "Anthropologie der Schwäche" bezeichnen. In der Welt Racines waltet - wie bei den antiken Tragödiendichtern - ein allmächtiges Schicksal. Dieses Schicksal lenkt der jansenistischen Gott der Vorhersehung, doch er bleibt ein "verborgener Gott", wie ein wichtiges Buch von Lucien Goldmann über Racines Theater betitelt ist. Andere Lesarten haben die Ohnmacht des Menschen als sein Ausgeliefertsein an den absolut regierenden König Ludwig XIV. interpretiert.

Da Racine die Staatsform der absolutistischen Monarchie in seinen Tragödien nie in Frage stellte und dort letztlich immer die Ordnung siegte, konnte er der königlichen Gunst bis kurz vor seinem Tod gewiß sein. 1673 wurde er in die Académie française aufgenommen, 1677 machte Ludwig XIV. den Dichter zum offiziellen königlichen Geschichtsschreiber.

© SR

Wichtige Schriften

  • Andromaque (1667, dt. Andromache)
  • Britannicus (1669)
  • Bérénice (1670, dt. Berenike)
  • Mithridate (1673)
  • Iphigénie en Aulide (1674, dt. Iphigenie)
  • Phèdre (1677, dt. Phädra)

Sekundärliteratur

  • E. Auerbach: Racine und die Leidenschaften, in: E.A.: Gesammelte Aufsätze zur romanischen Philologie, hrsg. von F. Schalk, Berlin 1967, S.196-203.
  • L. Goldmann: Der verborgene Gott. Studie über die tragische Weltanschauung in den "Pensées" Pascals und im Theater Racines, Neuwied 1973.
  • R. Barthes: Sur Racine, Paris 1963.