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Feuilleton

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frz. Feuilleton: Blättchen

Als Feuilleton bezeichnet man zunächst traditionell den Kulturteil einer Zeitung, d.h. die Sparte, in der Nachrichten aus dem kulturellen Leben, Kritiken [QV: Literaturkritik], Essays, Glossen, Interviews etc. zu den Künsten, zu Alltags- u. Freizeitkultur, zu den (Geistes-) Wissenschaften, aber auch literarische Texte und künstlerische Abbildungen versammelt sind. (Was heute in speziellen Beilagen oder Sparten erscheint, z.B. Reise, Wissenschaft, Medien, war früher oft Teil des Feuilletons. Umgekehrt nimmt das Feuilleton immer häufiger Themen der Politik, Wirtschaft, Technik, Naturwissenschaften in sich auf.)

Der Begriff des Feuilletons stammt aus den Zeiten der Französischen Revolution, als man begann, dem Journal des Débats ein Blättchen mit Theaternachrichten und -kritiken beizulegen. Diese waren bald so beliebt, daß man sie ins Hauptblatt nahm, nun im unteren Viertel oder Drittel der Seite durch einen dicken Strich abgetrennt - daher der Ausdruck: Unter dem Strich. Diese Gepflogenheit wurde in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts von Zeitungen in Deutschland übernommen und nach 1848 üblich. Bis in die Zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts findet man das Feuilleton in der Regel von der ersten Seite der Zeitung an durchlaufend 'unter dem Strich'. Ab Mitte der Zwanziger Jahre wird ihm zunehmend eine eigene Sparte eingeräumt.

Besonders populär ist seit dem frühen 19. Jahrhundert die Praxis des Feuilletonromans, d.h. des Fortsetzungsabdrucks von unterhaltsamen oder spannenden Romanen (aber auch Novellen) in Fortsetzungen. Daraus entwickelte sich eine regelrechte Praxis speziell auf Fortsetzungsabdruck hin geschriebener Romane, Erzählungen und Novellen. Hier findet man schon die Muster, wie sie heute in Fernsehserien üblich sind: Eine Dramaturgie kurzer Spannungsbögen und der 'cliff hanger', d.h. offener Schlüsse, und erinnernder Wiederholungen. Viele der bedeutenden Autoren sind so zunächst veröffentlicht worden (z. B. Gutzkow, Fontane, Döblin, Bronnen u.a.).

Da im Feuilleton die Unterhaltsamkeit und die Erzeugung momentaner Aufmerksamkeit dominierte, entstand dort aber auch eine spezifische Form kleiner Texte, die man als Feuilleton bezeichnet. Es ist dies die 'Kleine Form' der Zeitung, die sich nicht immer präzise abgrenzen läßt von Formen wie Glosse, Reportage oder auch Essay. Die mangelnde Abgrenzbarkeit gehört zur ihrer Eigenheit. Daher umschreibt man diese 'Kleine Form' häufig mit Plauderei. Am ehesten kann man vielleicht sagen, daß es sich entweder um - heiterer oder nachdenklicher - Texte handelt, die Aktuelles zum Anlaß allgemeinerer Betrachtungen nehmen, oder um Texte über nicht unmittelbar Aktuelles, z.B. alltägliche Erfahrungen, ästhetische, psychologische, soziologische oder philosophische Fragen. Dabei ist ein geringer Umfang und vor allem eine eher subjektive, zwischen Ernst und Unernst changierende, oft ironische, jedenfalls stark bildhafte und verblüffende Präsentation charakteristisch.

In der Regel wird die 'Kleine Form' auf Ludwig Börne, Heinrich Heine und Moritz Saphir zu Anfang des 19. Jahrhunderts zurückgeführt. Zunehmend entwickelten sich Spezialisten und Virtuosen dieser kleinen Form des Feuilletons, zunächst seit Mitte des 19. Jahrhunderts vor allem in Wien, so etwa Ferdinand Kürnberger, Ludwig Speidel und Daniel Spitzer. Später kamen in Berlin Julius Rodenberg oder Paul Lindau hinzu. Seinen Höhepunkt hatte das Feuilleton als intelligente Plauderei zweifellos in den Jahren vor 1933. Spezialisierte Autoren wie Victor Auburtin, Anton Kuh, Alfred Polgar, Roda Roda und Joseph Roth, aber auch gelegentlich Ernst Bloch, Walter Benjamin und Siegfried Kracauer, liefern Texte von außerordentlicher Virtuosität, ästhetischem und intellektuellem Raffinement. Nach 1933 wurde das Feuilleton als 'jüdisch' diffamiert. Gegen seine angeblich intellektualistisch-zersetzende Manier wurde eine angeblich eigentümlich deutsche Form der von 'Herzen' kommenden Betrachtung gesetzt. (So besonders von Wilmont Haacke). Trotz namhafter Autoren wie Friedrich Sieburg, Friedrich Torberg, N.O.Scarpi (und Heinz Knobloch in der DDR) konnte das Feuilleton nicht mehr seine frühere Qualität und Popularität erlangen. Seit den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts hat es sich jedoch vor allem in der sogenannten Kolumne erneuert. Zu nennen sind hier etwa Elke Heidenreich, Michael Rutschky, Maxim Biller, Wiglaf Droste und insbesondere Max Goldt.

Mit der zumeist bildhaften, schwebenden, ironischen und originellen Präsentation hängt ein dritter Aspekt, der des 'Feuilletonismus' zusammen: Man hat dem Feuilleton, den Texten im Feuilleton, aber auch anderen, sei es journalistischen oder wissenschaftlichen Texten, immer wieder den Vorwurf des Feuilletonismus gemacht, d.h. des Verspielten, Unernsten und Ungefähren. Hermann Hesse hat im 'Glasperlenspiel' sogar vom "feuilletonistischen Zeitalter" gesprochen. Zuerst und wohl am radikalsten hat Karl Kraus diese Kritik in 'Heine und die Folgen' (1911) vorgebracht. Seither kehren in Schüben Kritiken des Seichten, Oberflächlichen, Unernsten, Halbgebildeten usw. wieder. Von hierher läßt sich die Kritik am Feuilleton als Teil der Kritik an Infotainment und an der 'Spaßgesellschaft' verstehen. Daß diese Kritik zumindest in ihrer Pauschalität unsinnig ist, zeigen etwa die Texte von Axel Hacke, das Streiflicht der Süddeutschen Zeitung oder die Berliner Seiten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (z.B. Florian Illies, Michael Angele, David Wagner) mit ihrer Kombination von hoher Intellektualität und unkonventionell-origineller Schreibweise.

© ES

Sekundärliteratur

  • W. Haacke: Handbuch des Feuilletons, 3. Bde, Emsdetten 1951.
  • K. Kauffmann / E. Schütz (Hg.): Die lange Geschichte der Kleinen Form. Beiträge zur Feuilletonforschung, Berlin 2000.
  • G. Stegert: Feuilleton für alle. Strategien im Kulturjournalismus der Presse, Tübingen 1998.