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Ein Erzähler kann entweder von Handlungen berichten oder er kann seine Figuren selbst zu Wort kommen lassen. Im ersten Fall kann man von der Erzählung von Ereignissen im herkömmlichen Sinne sprechen, während im zweiten "sprachliche Ereignisse" in Form von Worten und Gedanken der Figuren wiedergegeben werden. Die Erzählung ist also in jedem Fall der Sprechakt eines Erzählers, der allerdings wiederum Sprechakte seiner Figuren enthalten kann. Eine Figur kann sogar innerhalb eines Textes selbst zum Erzähler einer ausführlichen Geschichte werden - und zwar auf einer zweiten Erzählebene (vgl. Stimme des Erzählers).

Wo der Erzähler selbst über nicht-sprachliche Ereignisse berichtet, haben wir es mit einem sogenannten 'Erzählerbericht' zu tun. Bei der Wiedergabe der Rede oder der Gedanken von Figuren gilt es, wesentlich genauer zu unterscheiden. Der Erzähler kann durch die Wahl eines bestimmten Blickwinkels den Informationsfluß zwischen seiner Geschichte und dem Leser qualitativ regulieren (vgl. Fokalisierungstypen). Er kann aber auch mehr oder weniger nachdrücklich erzählen, indem er die Worte oder die Gedanken seiner Figuren mehr oder weniger originalgetreu wiedergibt. Wenden wir uns zunächst den verschiedenen Formen der Redewiedergabe zu.
Je weniger ein Erzähler sich zwischen die Worte seiner Figuren und den Leser stellt, desto unmittelbarer erscheint uns diese Rede und desto ausgeprägter ist ihre 'mimetische' Qualität (vgl. Mimesis).

Im Falle der 'direkten Rede' sprechen die Figuren selbst - also ohne Umformungen durch den Erzähler. Der beschränkt sich darauf, ihre Worte zu wiederholen, ohne etwas hinzuzufügen. Genette spricht deswegen auch von 'berichteter Rede'. Bestenfalls ist der Erzähler noch spürbar in Wendungen, die die Rede ankündigen wie 'sagte, zeterte, flüsterte, schrie .. sie oder er'. Bei der lauten Rede wird diese Redeankündigung (die sogenannte 'inquit-Formel') durch ein 'verbum dicendi', also ein Verb des Sagens gebildet.

Bei der 'indirekten Rede' (in Genettes Terminologie 'transponierte Rede') werden die ursprünglichen Worte der Figur aus dem grammatischen Modus Indikativ bekanntlich in den Konjunktiv und das Redesubjekt von der ersten in die dritte Person verschoben. Auch wenn der Erzähler sich weitgehend an den Wortlaut der "originalen" Rede hält, ist er doch schon stärker präsent. Prinzipiell könnte er die gesamte Figurenrede wiedergeben, doch meist bearbeitet und verdichtet er sie etwas und paßt sie seinem eigenen Stil an.

Im 'Redebericht' schließlich ist der Erzähler allgegenwärtig. Er faßt die Worte seiner Figuren zusammen und kommentiert sie nach Belieben. Die originale Rede ist dabei nicht mehr wiederzuerkennen. Man könnte fast sagen, daß der Erzähler seine Figuren bevormundet. Genette nennt diese Redeform 'narrativisierte Rede', weil die Worte hier wie ein ganz normales Ereignis behandelt werden. (vgl. Beispiele für Formen der Rede- und Bewußtseinswiedergabe)

Wie verhält es sich nun mit der Wiedergabe von Gedanken und Gefühlen der Figuren?
Verschiedene Erzähltheoretiker vertreten die Ansicht, daß nicht nur Gedanken, sondern größtenteils auch Gefühle als sprachlich formulierte Rede betrachtet werden können. Nur daß diese "Rede" nicht laut ausgesprochen wird, sondern sozusagen "stumm" bleibt. Also kann man bei diesen unausgesprochenen Gedanken, Wahrnehmungen und Gefühlen - etwas paradox - auch von "stummer Rede" sprechen. Die Techniken ihrer Wiedergabe ähneln denen der Rede, so daß beide Formen nebeneinandergestellt werden können (vgl. Formen der Bewußtseinswiedergabe).

© SR

Sekundärliteratur

  • G. Genette: Die Erzählung, hg. v. J. Vogt, München 1994.
  • M. Martinez / M. Scheffel: Einführung in die Erzähltheorie, München 1999.
  • J. Vogt: Aspekte erzählender Prosa, 8. Aufl., Opladen 1998, Kap. 4.