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[Anonym:] Lancelot (um 1250)

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Lancelot ist der erste und bis ins 15. Jahrhundert hinein der einzige deutsche Prosaroman. Es handelt sich um eine nur in Handschriften überlieferte, fast wörtliche Übersetzung des ebenfalls anonym erschienenen altfranzösischen Lancelot du Lac (1215-1230). Lancelot führt in einem groß angelegten Panorama die figuren- und episodenreiche Welt der Artussagen und Gralsdichtung zusammen. Der extrem umfangreiche Roman berichtet in aufwendig verschlungener Handlungsführung und ambitionierter Erzählweise im ersten Teil von der Kindheit des Königssohns Lancelot, seinem Aufstieg zum besten Ritter der Artusrunde und seiner schicksalhaften Liebe zu Ginover, der Gattin des König Artus. Im zweiten Teil taucht mit dem Gral eine neue, geistliche Zielsetzung der Rittertums auf, der Lancelot selbst aber wegen seines Ehebruchs nicht genüge leisten kann. Vom Untergang des Artusreiches, der entscheidend durch Lancelots Verhältnis zu Ginover eingeleitet wird, berichtet der dritte Teil. Das altfranzösische Original besteht darüber hinaus aus zwei weiteren, vermutlich nachträglich hinzugefügten Teilen, die die Geschichte des Grals und das Leben Merlins erzählen.

Repräsentativ für den weitausholenden, genealogische Linien nachvollziehenden Erzählgestus des Lancelot ist der Anfang des Romans: "Im Grenzland von Gallien und der Bretagne lebten in alter Zeit zwei Könige, die waren Brüder von Vater und Mutterseite, und ihre Frauen waren Schwestern. Der eine der beiden Könige hieß Ban von Bonewig, der andere hieß Bohort von Gaune. König Ban war ein alter Mann, seine Frau war jung und von aller Welt geliebt. Sie hatten nur ein Kind miteinander, einen kleinen, zarten Knaben, der den Beinamen Lancelot trug, doch getauft war er Galaad. Wie er aber den Namen Lancelot bekommen hat, wird dies Buch später berichten, denn jetzt haben wir dazu keine Gelegenheit, weil wir dem geraden Gang der Erzählung folgen müssen, wie wir sie begonnen haben." (S.11) Neben der souveränen Beherrschung eines mehrsträngigen Erzählens zeichnen den Lancelot lebendige Dialoge und eine beinah schon psychologisierend zu nennende Figurengestaltung aus.

Als Liebesroman war Lancelot im Mittelalter in ganz Europa gleichermaßen beliebt: es ist Lancelot, der die beiden Liebenden Francesca da Rimini und Paulo Malatesta in Dantes Göttlicher Komödie zusammenführt und durch die Lektüre schuldig werden läßt.

©TvH

Quelle

  • Lancelot und Ginover. Nach der Heidelberger Handschrift Cod. Pal. Derm. 147, hg. v. Reinhold Kluge, ergänzt durch die Handschrift Ms. Allem. 8017-8020 der Bibliothèque de l'Arsenal Paris, übersetzt, kommentiert und herausgegeben v. Hans-Hugo Steinhoff, Frankfurt am Main 1995.

Sekundärliteratur

  • E. Köhler: Ideal und Wirklichkeit in der höfischen Epik, 2. Auflage Tübingen 1970. (Beihefte zur Zeitschrift für Philosophie 97)
  • R. Voß: Der "Prosa-Lancelot". Eine strukturanalytische und strukturvergleichende Studie auf der Grundlage des deutschen Textes, Meisenheim am Glan 1970.
  • G. Wild: Transformation von Erzählstrukturen. Erzählen als Weltverneinung im Lancelot-Gral-Zyklus, Essen 1992.