Startseite
Achtung, öffnet in einem neuen Fenster. PDFDruckenE-Mail

Die Traumarbeit

Meine Damen und Herren! Wenn Sie die Traumzensur und die Symboldarstellung bewältigt haben, haben Sie die Traumentstellung zwar noch nicht gänzlich überwunden, aber Sie sind doch imstande, die meisten Träume zu verstehen. Sie bedienen sich dabei der beiden einander ergänzenden Techniken, rufen Einfälle des Träumers auf, bis Sie vom Ersatz zum Eigentlichen vorgedrungen sind, und setzen für die Symbole deren Bedeutung aus eigener Kenntnis ein. [...]

Lassen Sie sich auch noch einmal vorhalten, daß jene Arbeit, welche den latenten Traum in den manifesten umsetzt, die Traumarbeit heißt. Die in entgegengesetzter Richtung fortschreitende Arbeit, welche vom manifesten zum latenten gelangen will, ist unsere Deutungsarbeit. Die Deutungsarbeit will die Traumarbeit aufheben. [...]

Die erste Leistung der Traumarbeit ist die Verdichtung. Wir verstehen darunter die Tatsache, daß der manifeste Traum weniger Inhalt hat als der latente, also eine Art von abgekürzter Übersetzung des letzteren ist. Die Verdichtung kann eventuell einmal fehlen, sie ist in der Regel vorhanden, sehr häufig enorm. Sie schlägt niemals ins Gegenteil um, d.h. es kommt nicht vor, daß der manifeste Traum umfang- und inhaltsreicher ist als der latente. Die Verdichtung kommt dadurch zustande, daß 1. gewisse latente Elemente überhaupt ausgelassen werden, 2. daß von manchen Komplexen des latenten Traumes nur ein Brocken in den manifesten übergeht, 3. daß latente Elemente, die etwas Gemeinsames haben, für den manifesten Traum zusammengelegt, zu einer Einheit verschmolzen werden. Wenn Sie wollen, können Sie den Namen "Verdichtung" für diesen letzten Vorgang allein reservieren. Seine Effekte sind besonders leicht zu demonstrieren. Aus Ihren eigenen Träumen werden Sie sich mühelos an die Verdichtung verschiedener Personen zu einer einzigen erinnern. Eine solche Mischperson sieht etwa aus wie A, ist aber gekleidet wie B, tut eine Verrichtung, wie man sie von C erinnert, und dabei ist noch ein Wissen, daß es die Person D ist. Durch diese Mischbildung wird natürlich etwas den vier Personen Gemeinsames besonders hervorgehoben. [...]

Die zweite Leistung der Traumarbeit ist die Verschiebung. [...] Ihre beiden Äußerungen sind erstens, daß ein latentes Element nicht durch einen eigenen Bestandteil, sondern durch etwas Entfernteres, also durch eine Anspielung ersetzt wird, und zweitens, daß der psychische Akzent von einem wichtigen Element auf ein anderes, unwichtiges übergeht, so daß der Traum anders zentriert und fremdartig erscheint.

Die Ersetzung durch eine Anspielung ist auch in unserem wachen Denken bekannt, aber es ist ein Unterschied dabei. Im wachen Denken muß die Anspielung eine leicht verständliche sein, und der Ersatz muß in inhaltlicher Beziehung zu seinem Eigentlichen stehen. [...]

Von beiden Einschränkungen hat sich aber die Verschiebungsanspielung des Traumes frei gemacht. Sie hängt durch die äußerlichsten und entlegensten Beziehungen mit dem Element, das sie ersetzt, zusammen, ist darum unverständlich, und wenn sie rückgängig gemacht wird, macht ihre Deutung den Eindruck eines mißratenen Witzes oder einer gewaltsamen, gezwungenen, an den Haaren herbeigezogenen Auslegung. Die Traumzensur hat eben nur dann ihr Ziel erreicht, wenn es ihr gelungen ist, den Rückweg von der Anspielung zum Eigentlichen unauffindbar zu machen. (S. 178ff.)

Quelle

  • Sigmund Freud: Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse, hg. v. Alexander Mitscherlich u.a., Bd.1, Frankfurt/M. 1969.