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Spätestens seit Umberto Eco 1983 eine Nachschrift zu seinem Weltbestseller Der Name der Rose publizierte, war der Begriff des "postmodernen Romans" in aller Munde. Obwohl Eco "Postmoderne" eher als "Geisteshaltung" denn als Epochenbezeichnung verstehen wollte, lieferte er folgenreiche Stichwörter für eine Diskussion, die in den USA in den Sechzigern begonnen hatte und in der Bundesrepublik etwa bis zur Jahrtausendwende virulent war. "Postmoderne Literatur", erklärte Eco, zeichne sich zunächst durch die Wiederentdeckung der Handlung (histoire) und des Vergnügens aus. Ihr Modus sei die Ironie, die jedem Authentizitätsanspruch eine Absage erteilt. Nicht zuletzt antworte der "postmoderne Roman" auf die experimentellen Ästhetiken moderner Avantgarden, die sich den Bruch mit der Vergangenheit auf ihre Fahnen geschrieben und die Literatur bis "zum Verstummen oder zur leeren Seite" getrieben hätten.

Es versteht sich von selbst, dass die Bestimmung eines "postmodernen Romans" vom Verständnis des modernen abhängt. Weil die unterschiedlichen nationalliterarischen Traditionen mit sehr verschiedenen, teils einander entgegen gesetzten Moderne-Begriffen operieren, lässt sich auch das schillernde Konzept der "Postmoderne" kaum auf einen gemeinsamen Nenner bringen. In den USA hatte der Literaturwissenschaftler Leslie A. Fiedler 1969 seinen programmatischen Aufsatz Überquert die Grenze, schließt den Graben bezeichnenderweise im Playboy veröffentlicht. Sein Ziel bestand darin, eine Verbindung zu schaffen zwischen populären Texten (etwa eines Mark Twain oder James Fenimore Cooper) und der so genannten Hochliteratur (eines James Joyce oder T.S. Eliot). "Postmodern" bedeutete in diesem Kontext also die Überwindung einer Epoche vermeintlich elitärer Kunstproduktion. In der spanischsprachigen Welt dagegen gilt schon die Literatur seit den dreißiger Jahren als "postmodern". Also auch der "Magische Realismus" lateinamerikanischer Autoren (wie Jorge Luis Borges und Julio Cortázar) mit seiner Vermischung von Fiktion und Realität. In Frankreich wiederum ist der Begriff - mit Ausnahme von Jean-François Lyotards wichtiger Schrift Das postmoderne Wissen - weniger breit diskutiert worden. Weil avantgardistische Bewegungen, vor allem der Nouveau Roman, das Bild der modernen französischen Nachkriegsliteratur entscheidend geprägt haben, wird dort eher von "postavantgardistisch" statt "postmodern" gesprochen. Für deutsche Leser blieb "postmoderne" Literatur lange Zeit diffus und suspekt nicht zuletzt, weil der einflussreiche Philosoph Jürgen Habermas die "Postmoderne" in die Nähe anti-aufklärerischer Bestrebungen gerückt hatte.

Dennoch lässt sich die Vielfalt der Konzepte versuchsweise synthetisieren. Ausgangspunkt ist eine Bestimmung des modernen Romans. Er reagiert auf den Sinnverlust, auf Industrialisierung, Krieg und Entfremdung, die das Individuum in der modernen Massen- und Mediengesellschaft seit dem Ende des 19. Jahrhunderts erfährt. In ästhetischer Hinsicht ist dieser moderne Roman gekennzeichnet durch den tiefen Zweifel, der Welt mittels Sprache habhaft zu werden. Permanente Selbstreflexionen über seinen Status als Sprachkunstwerk und Fiktion sowie über die Krise des Erzählens gehören zu den Kernpunkten seiner immanenten Poetik. Sie ist verbunden mit erzähltechnischen Experimenten, die das narrative Formenarsenal erweitern - sei es bei der Wahl der Erzählperspektive, der Darstellung von Zeit und Raum oder von Rede- und Bewusstseinsvorgängen.

Dieser moderne Roman, so seine Kritiker, habe oft selbstbezügliche Textgebilde hervorgebracht, die keinerlei Bezug zur Realität aufweisen, also der mimetischen Illusion abschwören. Zudem hätten die avantgardistische Forderung nach Originalität und die daraus resultierende Logik der permanenten Selbstüberbietung zur Erschöpfung der literarischen Mittel geführt. Der "postmoderne Roman" führe aus der Krise.

Er rückt ab vom Postulat der unbedingten Neuheit und Authentizität und arrangiert stattdessen bekanntes Material neu. Seine ausgeprägte Zitatkultur ist Ausweis des Bewusstseins, nicht mehr unschuldig erzählen zu können. Mit der Hochschätzung von Intertextualität geht ein Hang zu verschachtelten metafiktionalen Konstruktionen einher. Der aufklärerische Anspruch auf Weltdeutung wird weitgehend abgelöst von der Aufwertung des Spielerischen und des vollmundigen Fabulierens, das der Unterhaltungsfunktion von Literatur gerecht zu werden versucht. Populäre Genres wie der Kriminal- und der Abenteuerroman, aber auch Genremischungen, stehen hoch im Kurs. Autobiographische und fiktive Elemente gehen unauflösliche Verbindungen ein. Im Ergebnis solcher auf Pluralität abgestellter Textstrategien lassen sich die Romane auf verschiedenen Ebenen lesen (der Name der Rose also beispielsweise als Kriminalroman oder geschichtsphilosophische Abhandlung). Die Suche nach "Tiefe" und "Sinn" wird häufig durch "Ästhetiken der Oberfläche" ersetzt, die dem Charakter der zeitgenössischen Konsum- und Mediengesellschaft Rechnung tragen. Zu den wichtigsten Autoren, die dem "postmodernen Roman" zugerechnet werden, zählen John Barth und Thomas Pynchon in den USA, Italo Calvino und Umberto Eco in Italien, Patrick Süskind und Christoph Ransmayr im deutschsprachigen Raum.

Natürlich sind die poetologischen Vorstellungen all dieser "postmodernen Romanciers" oft äußerst unterschiedlich. Zudem lassen sich zahlreiche Ungleichzeitigkeiten und Widersprüche zu beobachten. Der forcierte Einsatz intertextueller Verfahren ist beispielsweise auch für avantgardistische Ästhetiken charakteristisch (Poststrukturalismus). Nicht zuletzt macht sich angesichts von unterstellter oder tatsächlicher Unverbindlichkeit Unbehagen breit. Seit Ende der neunziger Jahre hat das Konzept des "postmodernen Romans" jedenfalls spürbar an konjunktureller Schwungkraft verloren. Was die Debatten indes geleistet haben, ist eine kulturelle Selbstverständigung über die offenbar bei weitem nicht ausgeschöpften Möglichkeiten, Formen und Funktionen des Romans.

©SR

Quelle

  • Umberto Eco: Nachschrift zum Namen der Rose. München1986, S. 78.

Sekundärliteratur

  • K.W. Hempfer (Hg.): Poststrukturalismus - Dekonstruktion - Postmoderne, Stuttgart 1992.
  • U. Schulz-Buschhaus / K. Stierle (Hg.): Projekte des Romans nach der Moderne, München 1997.
  • Postmoderne. Eine Bilanz. Merkur 594/595, September/Oktober 1998.