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Christian Friedrich von Blanckenburg: Versuch über den Roman (1774)

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Die Abhandlung Versuch über den Roman (1774 anonym erschienen) von Christian Friedrich von Blanckenburg (1744-1796) ist die erste deutsche Romantheorie. Blanckenburg hat den Roman (der Aufklärung, angeregt durch Fieldings Tom Jones, 1749 und Wielands Agathon, 1766/67) erstmalig als eigenständige und ästhetisch wertvolle Gattung beschrieben. Er sieht den Roman als historischen Nachfolger des antiken Epos. Anders als später bei Hegel wird der 'individuelle' Roman gegenüber dem 'repräsentativen' Epos nicht ästhetisch abgewertet, sondern als zeitgemäße Wandlung dieser Gattung analysiert. Stellte das Epos noch öffentliche Thaten und Begebenheiten des Bürgers in den Vordergrund, so werden im Roman die Handlungen und Empfindungen des Menschen akzentuiert. Auf der einen Seite steht der Mensch als öffentliches, politisches Wesen, auf der anderen Seite als fühlendes und handelndes Individuum. Das Seyn des Menschen, sein innrer Zustand wird zum Hauptthema des Romans. Diese Ablösung des Epos durch den Roman begründet Blanckenburg historisch, wenn er von der Differenz der Sitten und Einrichtungen der damaligen und der jetzigen Welt spricht. Im Zeitalter des entstehenden modernen Individualismus, der Selbstverantwortung des Einzelnen, erstarkt eine literarische Gattung, die exemplarisch einen Blick in das Innere eines Helden gewährt, die seine Charakterbildung zeigt, seine Selbstwerdung in Auseinandersetzung mit der Welt. Der Roman ermöglicht dem Leser den Blick auf das "Werden" des Helden als einen möglichen Menschen der wirklichen Welt. Es geht um die innere Geschichte eines Menschen, um seine Denkungs- und Empfindungskräfte. Dieser Blick auf den Bildungsweg des Protagonisten dient der Vervollkommnung des Lesers. Die Selbstfindung der Romanfigur wird zum Vorbild der eigenen.

Wer dem Roman diese Funktion zuschreibt, muß sich auch Gedanken über die erzählerischen Mittel machen, die ihr dienen sollen. Blanckenburg nimmt Abstand vom 'reinen' Erzählen, d.h. von der Berichtform. Er will dem Dargestellten stärkere Unmittelbarkeit geben und den Nachvollzug der Ursachen von Handlungen und Empfindungen des Helden ermöglichen. Die probaten Formen dafür findet er im 'dramatischen' Erzählen (Dialog, Monolog, szenische Darstellung). Der Briefroman scheint ihm nicht geeignet, um den inneren Bildungsgang eines Menschen adäquat zu beschreiben - eine Auffassung, der er 1775 in seiner bekannten Werther-Rezension dann selber widerspricht.

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Quelle

  • Christian Friedrich von Blanckenburg: Versuch über den Roman [1774], hg. v. Eberhard Lämmert, Stuttgart 1965.

Sekundärliteratur

  • J. Sang: Christian Friedrich von Blanckenburg und seine Theorie des Romans, München 1966.
  • W. Voßkamp: Romantheorie in Deutschland von Martin Opitz bis Friedrich von Blanckenburg, Stuttgart 1973.
  • K. Wölfel: Friedrich von Blanckenburgs "Versuch über den Roman", in: R. Grimm (Hg.): Deutsche Romantheorien. Beiträge zu einer historischen Poetik des Romans in Deutschland, Frankfurt/M. 1968, S. 29-60.