Georg Büchner

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* 17. 10. 1813, Goddelau bei Darmstadt
+ 19. 2. 1837, Zürich

deutscher Revolutionär, Philosoph, Zoologe, Dramatiker, Erzähler

Georg Büchner hat in nur 23 Lebensjahren ein zwar schmales, aber zweifellos zur Weltliteratur zählendes Werk geschaffen. Jenseits vorgegebener Sinnsysteme erkundet es die Grenzen und Abgründe des Menschen: Melancholie, Wahnsinn, Verbrechen, Sexualität. Büchner gilt heute als einer der größten deutschen Autoren des 19. Jahrhunderts und als Bahnbrecher der Moderne.

Modern sind nicht nur seine Themen, sondern vor allem seine ästhetischen Verfahrensweisen (Zitat, Collage, Montage, Travestie) und seine metaphernreiche Sprache, die sich aus der grenzüberschreitenden Perspektive von Naturwissenschaft, Medizin, Philosophie und Psychiatrie ergibt. Büchner kommt nicht über die Teilnahme an literarischen Zirkeln zur Literatur, sondern von außen: Als Sohn eines Arztes kam Büchner früh mit Medizin und Naturwissenschaften in Kontakt. Er studierte zwischen 1831 und 1834 in Straßburg, Gießen und Darmstadt Medizin, während er gleichzeitig politisch agitierte und an der republikanischen Bewegung in Hessen teilnahm.

"Die politischen Verhältnisse", so schrieb er im Dezember 1833, "könnten mich rasend machen. Das arme Volk schleppt geduldig den Karren, worauf die Fürsten und Liberalen ihre Affenkomödie spielen." Neben der Gründung einer "Gesellschaft für Menschenrechte" verfertigte Büchner zusammen mit seinem Freund, dem Butzbacher Rektor Friedrich Ludwig Weidig, im Frühjahr 1834 die revolutionäre Flugschrift Der Hessische Landbote. Unter dem Motto: "Friede den Hütten, Krieg den Palästen" und gespickt mit statistischem Zahlenmaterial sowie den narrativen und sprachlichen Mustern vor allem der Bibel, versucht diese Schrift, die Landbevölkerung zur Revolution zu bewegen. Die Flugschrift wurde in etwa 1200-1500 Exemplaren gedruckt, konnte aber aufgrund einer Denunziation kaum verteilt werden. Dennoch entkam Büchner nur knapp einer Verhaftung und ging im September nach Darmstadt.

Neben weiterer politischer Tätigkeit vertiefte er sich hier in die Geschichte der französischen Revolution, worauf er Anfang 1835 in nur fünf Wochen sein Revolutionsdrama Dantons Tod schrieb. Wie auch bei der Novelle Lenz und dem Dramenfragment Woyzeck benutzt Büchner auch hier historische Quellen, die er zum Teil wörtlich, zum Teil modifiziert, in seinen Text montiert. Gegenstand ist der historische Konflikt zwischen den radikalen Jakobinern um Robespierre und der gemäßigteren Gruppe um Danton, der mit der Hinrichtung der letzteren endete. Das Stück, das man als Paradigma der offenen Form ansehen kann, kontrastiert Szenen, die in politischen Institutionen spielen, mit Volksszenen, in denen die politischen Reden freiwillig und unfreiwillig persifliert werden. Büchner analysiert so die Bedingungen und die Möglichkeiten der Sprache für politisches Handeln in und jenseits der Institutionen. Mit dem resignativen Hedonisten Danton und dem tugendrigorosen Robespierre stehen sich zugleich zwei Strategien der menschlichen Glückssuche gegenüber, die beide aber eine materielle Situation voraussetzen, wie sie dem Volk gerade fehlt: "das Volk ist tugendhaft d.h. es genießt nicht, weil ihm die Arbeit die Genußorgane stumpf macht, es besäuft sich nicht, weil es kein Geld hat und geht nicht in's Bordell, weil es nach Käs und Hering aus dem Hals stinkt und die Mädel davor einen Ekel haben."

Im März 1835 floh Büchner nach Straßburg, da er in Deutschland wegen "Teilnahme an staatsverräterischen Handlungen" steckbrieflich gesucht wurde. Hier schrieb er nicht nur die Novelle Lenz und die lange unterschätzte Komödie Leonce und Lena, eine Travestie der romantischen Komödie, sondern er arbeitete auch intensiv an seiner Dissertation über die Schädelnerven der Fische. Büchner strebte nicht die Karriere eines freien Schriftstellers an, sondern eine Dozentur an der Universität Zürich, wohin er im Oktober 1836 übersiedelte. Hier entstand Woyzeck, sein letztes, Fragment gebliebenes, aber berühmtestes Werk. Die soziale und materielle Situation "der Geringsten", die Büchner im sogenannten "Kunstgespräch" in der Novelle Lenz als eigentlichen Gegenstand einer realistischen und anti-idealistischen Kunst faßt, ist hier die eines armen Soldaten, der - als Objekt medizinischer Experimente physisch ausgebeutet - aus Eifersucht seine Frau ermordet. Angelehnt an einen authentischen Fall und die psychiatrischen Gutachten über die Zurechnungsfähigkeit des Täters baut Büchner knappe, hochverdichtete Szenen, die Woyzeck als Opfer von Armut und gesellschaftlichen Verhältnissen zeigen. Die Wirkung dieses Textes, der den Beginn des sozialen Dramas in Deutschland markiert, auf die Literatur des 20. Jahrhunderts, insbesondere auf Naturalisten und Expressionisten, aber auch noch auf Bertolt Brecht und Max Frisch, ist nicht zu überschätzen.

Georg Büchner ist Namensgeber des wichtigsten deutschsprachigen Literaturpreises (seit 1973).

©JL

Wichtige Schriften

Sekundärliteratur