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evtl. von knüttel: knorrig, im Sinne von schlechten, unregelmäßigen Versen

Der Knittel ist im 15. und 16. Jahrhundert nicht nur in der Lyrik, sondern auch in Dramatik und Epik der gebräuchlichste Vers. Er ist vierhebig und in Paaren gereimt. Man unterscheidet den sogenannten strengen vom freien Knittel. Der strenge Knittel ist ein meist alternierender acht- oder neunsilbiger Vierheber, wie ihn am kunstvollsten Hans Sachs verwandte. Im freien Knittel hingegen herrscht Füllungsfreiheit, d.h. es können mehrere Senkungen aufeinander folgen, oder auch ganz wegfallen (= Hebungsprall), so dass der freie Knittel aus bis zu 15 Silben bestehen kann.

In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde der freie Knittel im Rahmen der Rückbesinnung auf altdeutsche Traditionen (Herder) wiederentdeckt und beispielsweise von Goethe im Eingangsmonolog des Faust eingesetzt (S. 13):

1 "Habe nun, ach! Philosophie, (a)
2 Juristerei und Medizin, (b)
3 Und leider auch Theologie! (a)
4 Durchaus studiert mit heißem Bemühn. (b)
5 Da steh ich nun, ich armer Tor! (c)
6 Und bin so klug als wie zuvor; (c)
7 Heiße Magister, heiße Doktor gar, (d)
8 Und ziehe schon an die zehen Jahr (d)
9 Herauf, herab und quer und krumm (e)
10 Meine Schüler an der Nase herum – (e)
11 Und sehe, daß wir nichts wissen können! (f)
12 Das will mir schier das Herz verbrennen." (f)

1 - u u - - u u -
2 - u u - - u u -
3 u - u - - u u -
4 - u u - u - u u -
5 u - u - u - u -
6 u - u - u - u -
7 - u u - u - u - u u
8 u - u - u u - u -
9 u - u - u - u -
10 - u - u u u - u u -
11 u - u u u - - u - u
12 u - u - u - u - u

Die Verse beginnen sowohl auftaktig als auch auftaktlos, einige sind alternierend und heben den Inhalt durch den so entstehenden sprachlichen Rhythmus besonders deutlich hervor (5, 6, 9, 1), in anderen stehen mehrere Senkungen oder Hebungen hintereinander, so daß sich die Verssprache eher der Prosa annähert. Durchgängig sind alle Verse vierhebig und reimen sich mit Ausnahme des ersten Kreuzreimes in Paarreimen.

©TvH

Quelle

  • Johann Wolfgang Goethe: Faust. Der Tragödie erster Teil, Stuttgart 1986.