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Das berühmteste Zitat wird ab der zweiten Auflage nicht mehr gedruckt: In der Mitte des Stücks steht der mit dem Häuflein seiner letzten Getreuen in seiner Burg eingekesselte Götz am Fenster und ruft dem Anführer der weit überlegenen kaiserlichen Truppen zu: "Vor Ihro Kaiserliche Majestät hab ich, wie immer, schuldigen Respekt. Er aber, sag's ihm, er kann mich [im (!) Arsch lecken!]" (S. 139) - Die letzten drei Worte werden getilgt, aber den Zuschauern (und Lesern) war durchaus klar, was da ausgelassen wurde. Hier wird wohl noch am ehesten über den zeitlichen Abstand hinweg nachvollziehbar, welche ungeheure Provokation das Stück des jungen, bis dahin weitgehend unbekannten Autors für die Zeitgenossen darstellen musste - auch aus Gründen, die heute weniger naheliegend erscheinen.

Das Stück geht zurück auf die Autobiographie des im 16. Jahrhundert lebenden Gottfried von Berlichingen, wobei es Goethe mit den historischen Fakten nicht allzu genau nimmt. Er stilisiert vielmehr seinen Götz zum letzten Reichsritter, der schließlich von der neuen Zeit überrollt wird. In der Fehde mit dem Bamberger Bischof wird dieser durch die Intrige seines ehemaligen Jugendfreundes Weislingen von den Truppen des Götz eigentlich wohlgesonnenen Kaisers gefangen und unter Reichsbann gesetzt, d.h. zur Untätigkeit verdammt. Weislingen hatte sich zu Beginn des Dramas zunächst mit Götz ausgesöhnt, war aber erneut wortbrüchig geworden - auch weil er einer frühen "femme fatale" in die Hände fällt, die ihn nicht nur für ihre Zwecke instrumentalisiert sondern nach einigen angedeuteten wie vollzogenen Ehebrüchen schließlich sogar vergiftet. Überhaupt wird in dem Drama viel gestorben: Nicht nur in den vielen Schlacht- und Kampfhandlungen - wie der Kaiser (von den Zeitgenossen als der "letzte Ritter" bezeichnet) stirbt schließlich auch Götz und mit ihm eine ganze Epoche. Als der alte Mann nach Jahren der Untätigkeit von den aufständischen Bauern gezwungen wird, ihren Aufruhr anzuführen, misslingen seine Versuche, deren Mordbrennerei zu mäßigen, aufgrund einer Intrige, und er wird schließlich abermals gefangen gesetzt. Er stirbt im Garten vor dem Gefängnisturm mit dem programmatischen Ausruf: "Freiheit! Freiheit!" (S. 175)

Goethe schildert hier nicht nur den Untergang eines "großen" Individuums, wie es das bürgerliche Publikum seit Shakespeares Zeiten so sehr liebte. In einem breiten Panorama schildert Goethe eine Zeit des Umbruchs von einer lose organisierten Kaiserherrschaft zur streng zentralistischen, "absolutistischen" Herrschaft in den deutsche Territorien. Der alte Stand der reichsunmittelbaren (d.h. nur dem Kaiser unterstellten) Ritter mit ihrem ausgeprägten Ehrenkodex geht unter und wird durch den geschmeidigeren Typus des intriganten Höflings ersetzt, wie ihn etwa Weislingen verkörpert. Gerade dadurch wird das Stück für das zeitgenössische Publikum Goethes interessant: Denn im sich absolutistisch verstehenden Adel, der den Götz langsam zugrunde richtet, sieht ja auch das aufkommende Bürgertum seinen Gegenspieler, von dem es sich scharf abzugrenzen sucht. Eine ausdrückliche Zeitkritik wird vor allem am Schluss des Stücks deutlich. Götz verflucht die neue Zeit, die nach ihm kommen wird: "Es kommen die Zeiten des Betrugs, es ist ihm Freiheit gegeben. Die Nichtswürdigen werden regieren mit List, und der Edle wird in ihre Netze fallen." (S. 175)

Goethe kommt diesem Abgrenzungsbedürfnis entgegen, indem er den Stoff ausdrücklich historisiert: Die Sprache des Stücks ist mit vielen Archaismen durchsetzt; erstmals wird in historischen Kostümen gespielt (während bis dahin zeitgenössische Kleidung gebräuchlich war). Damit löst er nicht nur eine Welle historischer Themen in der Literatur aus, die in ihren Fernwirkungen bis zu Walter Scott reicht. Indem er den Stoff als historischen deutlich macht, zeigt er auch die noch spürbaren Folgen als geschichtlich gewachsen und damit kritisierbar.

Sein Vorbild sieht Goethe dabei in Shakespeare. Schon in seiner Rede zum Shakespeares-Tag, die mehr über seinen Götz als über Shakespeare verrät, hatte er ein Konzept verfochten, das die "Natur" in Gegensatz zur üblichen Regelpoetik setzte. Entsprechend sieht man Götz in seiner ersten wie in seiner letzten Szene (und vielfach zwischendurch) in der freien Natur stehen und schließlich sterben. In diesem Sinn ist auch Goethes Wendung gegen die Drei Einheiten zu verstehen: Während die durch panoramatische Szenen immer wieder aufgelockerte Handlung durch die Struktur der fünf Akte wenigstens grob zusammengehalten wird, gibt es im Stück eine Vielzahl von Ort- und Zeitsprüngen. In der Zahl der Szenenwechsel, bei denen die Auftritte manchmal nur aus kurzen Wortwechseln bestehen, übertrifft Goethe sogar sein englisches Vorbild bei weitem.

Das bürgerliche Publikum nimmt des Stück begeistert auf. Der weitgehend unbekannte Goethe wird mit diesem immensen Theatererfolg und den ein Jahr später veröffentlichten Leiden des jungen Werther, die auf ihre gefühlsselige Weise ebenfalls den Gegensatz zwischen Bürgertum und Adel thematisieren, nicht nur zu einem der Aushängeschilder der jungen Bewegung des Sturm und Drang, sondern er bringt die deutsche Literatur erstmals auf Weltniveau.

© JK

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