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Die grundlegende Funktion der Rede besteht natürlich darin, den Zuhörer für die Meinung des Redners zu gewinnen. Er soll von der Schuld oder Unschuld eines Angeklagten überzeugt, für eine politische Vorgehensweise erwärmt werden oder seine Zustimmung für ein Lob, eine Klage oder ähnliches erteilen. Bei Cicero lesen wir zu dieser Wirkungsfunktion:

"Wenn ich nun die Art des Rechtsfalles vernommen und erforscht habe und zur Behandlung der Sache selbst schreite, so setzte ich vor allem den Hauptgegenstand fest, auf den ich meine ganze Rede, die der gerichtlichen Untersuchung angemessen sein muß, zu richten habe. Dann ziehe ich zweierlei auf das sorgfältigste in Erwägung: erstens, was mir und dem, den ich verteidige, zur Empfehlung gereichen könnte; zweitens, was geeignet sei, die Gemüter derer, vor denen ich rede, für meine Wünsche zu stimmen. So stützt sich die ganze Kunst der Rede auf drei zur Überredung taugliche Mittel, indem wir zuerst die Wahrheit dessen, was wir verteidigen, erweisen, dann die Zuneigung der Zuhörer gewinnen, endlich ihre Gemüter in die Stimmung, die jedesmal der Gegenstand der Rede verlangt, versetzen sollen." (2, 114)

Dieses Zitat macht schon deutlich, daß die Wege, auf denen diese Überzeugung bewirkt werden, sich grundlegend voneinander unterscheiden. Es gibt die Möglichkeit, den Zuhörer intellektuell anzusprechen, ihn also auf der Ebene der Logik über den Gegenstand der Rede zu belehren (docere) oder eine Argumentation zu beweisen (probare). In einem heutigen Strafprozeß würden zu einer solchen argumentativen Beweisführung Indizien zählen, z.B. ein Fingerabdruck, den ein Einbrecher in einer Wohnung hinterlassen hat, oder eine Zeugenaussage, die dem Verdächtigen attestiert, am Tatort zum Tatzeitpunkt gewesen zu sein, oder ein Geständnis des Täters, also – mehr oder weniger - beweisbare Tatsachen, auf die dann der Verteidiger oder der Staatsanwalt in ihren Schlußplädoyers hinweisen könnten. Aber man kann den Zuhörer nicht nur intellektuell ansprechen, sondern auch auf der Ebene der Emotionen. Diese Ansprache kann einerseits besänftigend wirken, indem sie versucht, den Zuhörer zu gewinnen (conciliare) oder zu erfreuen (delectare), andererseits auf Erregung zielen, indem sie den Zuhörer bewegt (movere) oder anstachelt (concitare). Übertragen auf unser Beispiel des modernen Strafprozesses, würde der Verteidiger wahrscheinlich eher die Besänftigungsmöglichkeiten mittels seiner Rede bevorzugen, indem er den Angeklagten zum Beispiel zum Sympathieträger stilisiert, der in einer schwierigen Lebenssituation nicht 'aus noch ein' wußte (conciliare), und der durch sein zukünftiges vorbildliches Verhalten eine Stütze für die Gesellschaft sein könnte (delectare). Der Staatsanwalt hingegen würde wahrscheinlich eher versuchen, auf die Erregung des Zuhörers zu zielen, indem er den erlittenen Schaden des Opfers nachvollziehbar macht (movere) oder den Zuhörer von dem ständig brodelnden kriminellen Potential des Angeklagten überzeugt (concitare). Dabei stehen sowohl dem Verteidiger als auch dem Staatsanwalt grundsätzliche alle Redefunktionen zur Verfügung.

Zurück zur Antike: Die ausgewogenste Darstellung der verschiedenen Redefunktionen findet sich bei Aristoteles, während Cicero in seinen Ausführungen die Erregung der Emotionen deutlich in den Vordergrund stellt.

Redefunktionen

belehren (docere)

beweisen (probare)

gewinnen (conciliare)

erfreuen (delectare)

bewegen (movere)

aufstacheln (concitare)

intellektuell

emotional

Einsicht

Besänftigung

Erregung

Logik

Ethos

Pathos

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Quelle

Cicero: Über den Redner, übers. von Wilhelm Binder, München o. J.

Sekundärliteratur