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Deutschunterricht

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Organisierte Unterweisung in der Volkssprache gibt es zwar seit dem Mittelalter, doch erst mit der Entwicklung der neuzeitlichen Schule gewinnt sie breitere Bedeutung. Dabei sind Elementar- und höheres Bildungswesen zu unterscheiden. Auch die staatliche Volksschule bleibt bis weit ins 20. Jahrhundert hinein unter dem Einfluss der Kirchen (die sich traditionell um die Grundlagenbildung der Unterschichten kümmerten). Zwar wird mit der allgemeinen Schulpflicht im 19. Jahrhundert die Bibel als Medium der Leseerziehung durch Fibel und Lesebuch ersetzt. Pestalozzis Idee einer umfassenden Menschenbildung wird jedoch in der Volksschule nicht realisiert: sie soll zufriedene Untertanen produzieren. Schüler und Lehrer werden vor aufklärerischen Gedanken 'geschützt'. Deshalb ist preußischen Volksschullehren die Befassung mit pädagogischer Theorie und sogar die private Lektüre 'Klassischer Literatur' untersagt! Für die Volksschulen wird 1872 vorgeschrieben, "eine Anzahl poetischer Stücke durch gutes Memorieren zum bleibenden Eigentum der Schüler" zu machen, vor allem "Proben aus den Hauptwerken der vaterländischen, namentlich der volkstümlichen Dichtung".

Der Deutschunterricht am Gymnasium hängt - wie die Entwicklung der Germanistik als Fachwissenschaft - eng mit dem nationalen Denken des 19. Jahrhundert zusammen. Zunächst wandelt sich der traditionelle Rhetorikunterricht an griechischen oder lateinischen Mustern zur interpretierenden Befassung mit deutscher Dichtung. Im Kontext einer nationalen Neubestimmung des Sprachunterrichts (R. Hildebrand, 1867) etabliert sich ein eigenständiges Fach Deutsch. Im neuen Reich soll das Realgymnasium sogar den "deutschmodernen Mittelpunkt" (Otto Lyon, 1893) bilden. Seit 1892 gilt - nach einer Intervention Kaiser Wilhelms II. - die Reifeprüfung ohne ausreichende Leistungen im Fach Deutsch als nicht bestanden. Gefördert wird allerdings nicht wissenschaftlich fundierte Interpretation oder Literaturgeschichte, sondern eine "Hingebung an die Betrachtung" literarischer Werke (Gymnasialrichtlinien 1862); die Klassenlektüre mündet gern in allgemeingültige, auswendig zu lernende Leitsätze. Später hat die 'Kunsterziehungsbewegung' Reformimpulse für eine ästhetische Bildung gegeben, ideologisch bleibt sie jedoch eine Variante obrigkeitsstaatlicher Nationalerziehung.

Solche Tendenzen setzen sich in der Weimarer Republik fort: An der Volksschule pflegen Deutschunterricht und Heimatkunde eine bodenständige Heimatkultur (gegen Intellektualität und Internationalismus). Im höheren Schulwesen hat der 1912 gegründete "Deutsche Germanistenverband" mit seinem Kampf für eine 'Deutsche Oberschule' Erfolg. Um einen erneuerten Deutschunterricht (Sprach- und Literaturkunde mit starker Fundierung in der idealistischen Philosophie) gruppieren sich die "deutschkundlichen Fächer" (Geschichte, Erdkunde aber auch Naturwissenschaften). Der Übergang zum Nationalsozialismus verläuft weitgehend störungsfrei; eine aggressive Nationalerziehung stellt - neben Geschichte, Biologie und Erdkunde - die literarische Unterweisung in den Dienst von völkischer Rasseerziehung und Propagierung eines Führer- und Heroenkultes.

In der Nachkriegsdidaktik lassen sich eine idealistische, eine formalistische und eine kritische Phase unterscheiden. Das Beharren auf den zeitlos-humanen Werten des klassischen Menschenbildes (z.B. Robert Ulshöfer 1963) entspricht einer Politik, die jede Auseinandersetzung mit der jüngsten Geschichte vermeidet. Doch wird ein Literaturunterricht, der Politisches idealisiert und die Natur idyllisiert, angesichts des technisch-ökonomischen Aufschwungs ('Wirtschaftswunder') anachronistisch. Seine Kritiker (z.B. Herrmann Helmers 1966) plädieren für eine präzise Analyse ästhetischer Strukturen. Impulse aus einer selbstkritisch gewordenen Germanistik und der Studentenbewegung führen schließlich zur grundlegenden Erneuerung des Deutschunterrichts, dessen Modernitätsrückstand immer offensichtlicher geworden waren (exemplarische Kritik bei Heinz Ide 1970).

Unter dem Einfluss der Curriculumtheorie soll die schulische Vermittlung vor allem von gesellschaftsbezogener Literatur nun emanzipatorisch genutzt werden. Der heftig umstrittene hessische Entwurf für "Rahmenrichtlinien Deutsch (Sekundarstufe I)" formuliert 1972 die wichtigsten Tendenzen der kommenden Jahre: Abkehr von einem tradierten Werk-Kanon sowie Wiederentdeckung historisch oder sozial verschütteter Literatur; Ausrichtung des Unterrichts an Schülerinteressen (Lernziel- statt Stofforientierung); stärkere Betonung der mündlichen Kommunikation. Unter dem Einfluss der soziolinguistischen Forschung dominiert 'emanzipatorischer Sprachunterricht' zeitweise über einen Literaturunterricht, in dem ästhetische Texte ohnehin von Gebrauchstexten aller Art verdrängt zu werden drohen.

In den 80er und 90er Jahren finden wir ein breites Spektrum konkurrierender Konzepte: Eine der Kritischen Theorie verpflichtete Didaktik, die Literaturunterricht als Medium historischer Aufklärung sieht (Christa Bürger, Jürgen Kreft); eine ästhetische Erziehung (Norbert Hopster), in der der Umgang mit Literatur Freiräume zur Selbstfindung schaffen soll; verschiedene Varianten projekt- und handlungsorientierten Umgangs mit Literatur (z.B. Ingo Schellers "erfahrungsbezogenes Lernen"). In jüngster Zeit verstärken sich - nicht zuletzt unter dem Eindruck der PISA-Studie - Tendenzen zu einer Rückkehr zum Kanon. Insgesamt herrscht ein Methodenpluralismus vor, der zwar bildungspolitischen Fortschritt signalisiert, aber auch ein Indiz für den Funktionsverlust der Literatur ist. An die Stelle der ideologischen Prägung durch Literatur tritt inzwischen ein vielfältiges Geflecht medialer Beeinflussung.

© HK

Sekundärliteratur

  • K.-M. Bogdal / H. Korte (Hg): Grundzüge der Literaturdidaktik, München 2002.
  • H. J. Frank: Geschichte des Deutschunterrichts, München 1973.
  • E. K. Paefgen: Einführung in die Literaturdidaktik, Stuttgart u.a. 1999.