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Der Schäferroman entstammt der Tradition der Hirten- oder auch arkadischen Dichtung, als deren früher Vorläufer Vergils Bucolica (um 40.v. Chr.) gilt. Nach einer Blüte der lyrischen Hirtendichtung im 14. Jahrhundert mit den Italienern Petrarca und Boccaccio wurde im spanischen Barock mit dem Schäferroman auch die Prosaform ein äußerst erfolgreiches Genre.

Zunächst ist diese Romanform vor allem Ausdruck einer oft sentimentalen Sehnsucht nach Naturnähe und der Schlichtheit des Landlebens. Da es in der Welt keinen Frieden gibt, soll er wenigstens in der Vorstellungswelt der Dichtung hergestellt werden. Hierin liegt - bei aller Banalität, welche die erzählten Geschichten häufig aufweisen - ein utopisches Potential des Genres begründet. Wo die soziale Welt von Konflikten gereinigt ist, verbleiben lediglich Liebes- und Beziehungsprobleme als Spannungsmomente der Handlung. Selbstlose Hingabe wird gegen Egoismus ausgespielt, Respekt vor der Freiheit des anderen gegen Inbesitznahme. Kennzeichen dieser Liebe ist es, schwärmerisch und unerfüllt zu sein.

Dennoch gerät auch eine gesellschaftliche Komponente in das weitgehend unverfängliche Vergnügen der Oberklasse. Wie in der zeitgenössischen Mode der "Schäferei" - einer Art Kostümball - treten im Roman bekannte Persönlichkeiten unter der Maske des Schäfers auf. Der Schäferroman wird darüber zu einer frühen Form des Schlüsselromans, der in einigen Fällen Verhaltensweisen wie das Buhlen um die Gunst des Fürsten oder um Rangerhöhung denunziert. Mit den Mitteln des Rollenspieles versucht das adlige Publikum, für das dieser Romantyp in erster Linie geschrieben ist, sich zumindest probeweise von den Standesverpflichtungen der adligen Gesellschaft zu lösen.

Formal ist der Schäferroman geprägt von mehreren parallelen Erzählsträngen, eingeschobenen Geschichten, allegorischen Elementen und Verschlüsselungen. Außerdem sorgen gelegentliche lyrische Abschnitte für eine Mischung der Gattungen.

Als erster Schäferroman gilt Jacopo Sannazaros Arcadia (1502). Konstituierend für das Genre und von großer Wirkung auf die gesamteuropäische Produktion wurde aber Jorge de Montemayors Diana (1559). Weitere wichtige Texte der am stärksten entwickelten spanischen Tradition sind Lope de Vegas Arcadia (1598) und Miguel de Cervantes´ La Galatea (1585). Nach seiner Ausbreitung vor allem in Großbritannien und Italien erreichte das Genre mit Honoré d´Urfés L´Astrée (1607-27) in Frankreich einen Höhepunkt. Die deutsche Rezeption setzte erst relativ spät ein. Insbesondere Martin Opitz und Georg Philippe Harsdörffer bemühten sich um Bearbeitungen und Übersetzungen. Opitz´ Übertragung der Hirtenoper Daphne des Italieners Rinuccini wurde mit der von Heinrich Schütz komponierten Musik zur ersten deutschen Oper (1627).

Durch das Eindringen des Schäferromans in die Oper und das Singspiel entfaltete er bald größere Breitenwirkung und wurde zunehmend auch in bürgerlichen Kreisen erfolgreich. In der Genreentwicklung wird er spätestens im 19. Jahrhundert vom idyllischen Land- und Bauernroman abgelöst.

© SR

Sekundärliteratur

  • K. Garber: Formen pastoralen Erzählens, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur, 10/1985
  • W. Voßkamp (Hg.): Utopieforschung. Interdisziplinäre Studien zur neuzeitlichen Utopie. Bd. 2, Stuttgart 1982.