Quintilian: Ausbildung des Redners (95 n. Chr.)

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Das in zwölf Bücher gegliederte Lehrbuch der Rhetorik ist die umfassendste Darstellung der Rhetorik in der Antike. Quintilian schließt mit diesem Werk an seine zwanzigjährige Erfahrung als Rhetoriklehrer an. Er will die Rhetorik weniger revolutionieren, als vielmehr das Wissen seiner Zeit darstellen. Dabei greift er immer wieder auf Cicero zurück, wobei er jedoch das sittliche Fundament der Rhetorik stärker zu akzentuieren versucht. Er wendet sich radikal gegen die Traditionen der Sophistik, wenn er sich gegen die Auffassung verwahrt, Rhetorik sei die Kunst der Überredung. Hier reagiert Quintilian auf die Erfahrungen, die er und seine Zeitgenossen mit den Künsten der Redner im Rom seiner Zeitmachte. Nach der politischen Entmachtung des Bürgertums gab es kein zwingendes Anwendungsgebiet der Rhetorik mehr. Das hatte zur Folge, daß in der Öffentlichkeit zu bestimmten (erfundenen) Fällen 'rhetorische Duelle' ausgefochten wurden. Dabei ging es im Grunde nicht mehr um die Inhalte der Reden, sondern lediglich um ihre Form. Der Redner wollte folglich im Rededuell vornehmlich glänzen, was zu einem sittlichen Verfall der Beredsamkeit führte, auf den Quintilian in seiner verlorengegangenen Schrift Von den Ursachen des Verfalls der Beredsamkeit einging.

In seiner Ausbildung des Redners zeigt Quintilian den Gang einer von frühester Kindheit an gestuften Ausbildung zum Redner auf. Er beginnt mit der Elementarausbildung (erstes Buch), geht über zu den rhetorischen Anfangsgründen, um dann in den Büchern drei bis elf die klassischen rhetorischen Pflichten des Redners zu behandeln: inventio (Stoffauffindung), dispositio (Gliederung), elocutio (sprachliche Ausformulierung), memoria (Mnemotechniken) und actio (Vortrag). Im zwölften Buch zeichnet er abschließend das Bild des 'sittlich vollkommenen Redners'.

Vor allem das zehnte Buch ist wirkungsgeschichtlich für die Literaturwissenschaft wichtig geworden, denn hier wird die antike römische und griechische Literatur im Hinblick auf ihren Vorbildcharakter für die Rhetorik behandelt. Es ist vor allem Quintilians Werk (und zahllose darauf beruhende didaktische Leitfäden und Lehrbücher), das die rhetorische Tradition über den Zerfall der römischen Kultur hinaus gerettet hat. Vom christlichen Mittelalter über Renaissance und Barock bis zur Goethezeit liefert Quintilian das Fundament des rhetorisch ausgerichteten Rede- und Schreibunterrichts.

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