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Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft (1790)

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Die 1790 erschienene Kritik der Urteilskraft ist die letzte der sogenannten drei 'Kritiken' Kants: Nachdem sich der Königsberger Philosoph in der Kritik der reinen Vernunft (1781) mit den Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis auseinandergesetzt hat (was kann ich wissen?) und in der Kritik der praktischen Vernunft (1788) moralphilosophisch nach den Grundlagen menschlichen Handelns gefragt hat (was kann ich tun?), wendet er sich in der Kritik der Urteilskraft den Möglichkeiten und Gründen von verbindlichen Urteilen zu (wie kann ich urteilen?).

Als Urteilskraft begreift Kant "nicht bloß ein Vermögen, das Besondere unter dem Allgemeinen (dessen Begriff gegeben ist) zu subsumieren, sondern auch umgekehrt, zu dem Besonderen das Allgemeine zu finden." (S. 22) In der Kritik der Urteilskraft konzentriert er sich auf dieses zweite Vermögen, das er "reflektierende Urteilskraft" nennt: Sie bezeichnet die Gewohnheit des Menschen, hinter konkreten Erscheinungen Prinzipien und Begriffe zu vermuten, die mit Verstand und Vernunft erfaßt werden können. Ausgehend von den zwei Weisen der Urteilskraft, eine Verbindung zwischen Besonderem und Allgemeinem herzustellen, unterteilt Kant seine Kritik der Urteilskraft in zwei große Kapitel. In der Kritik der ästhetischen Urteilskraft analysiert er das Schöne, über das ein Urteil nur subjektiv, durch das Gefühl zustande komme; das ästhetische Urteil bezeichnet er daher auch als ein reines Geschmacksurteil. In der Kritik der teleologischen Urteilskraft wendet er sich den Gegenständen zu, deren Zweck bereits in ihrer Materialität begründet ist ("Naturzweck"), wo sich das Urteil also aus der Zweckmäßigkeit des Objektes selbst unmittelbar ergebe.

Im Mittelpunkt von Kants ästhetischer Theorie steht neben der traditionellen Kategorie des Schönen die zeitgenössische Kategorie des Erhabenen. Beide Begriffe bestimmt er ausgehend vom Subjekt. Als schön werde beurteilt, was im Subjekt ein Lustgefühl erzeuge, obwohl es weder nützlich noch moralisch gut ist: Es löse ein "uninteressiertes Wohlgefallen" (S. 117) aus. Der Zustand, in den das Subjekt bei der Betrachtung des Schönen gelange, sei bestimmt durch eine Harmonie zwischen Einbildungskraft und Verstand. Diese Harmonie werde als lustvoll erfahren und das empfindende Subjekt unterstelle, daß es die Lust an diesem harmonischen Zustand und an dem ihn auslösenden Gegenstand, theoretisch mit allen anderen Menschen als Vernunft- und Sinnenwesen teile. Daraus schließt Kant: "Schön ist das, was ohne Begriff allgemein gefällt." (S. 134) Im Schönen werde also vom anschauenden Subjekt eine rein formale (nicht inhaltliche) Zweckmäßigkeit erkannt, die ohne Nutzen sei (weshalb man ihr interesselos begegnet); das Schöne sei daher charakterisiert durch eine "Zweckmäßigkeit ohne Zweck". (S. 136)

In seiner Bestimmung des Begriffs des Erhabenen lehnt sich Kant an die Überlegungen Edmund Burkes (1729-1797) an, der das Erhabene als eine gemischte Empfindung charakterisiert hatte: Das Riesige, Unendliche, Dunkle löse im Betrachter Furcht aus, die sich jedoch mit lustvollen Empfindungen mische, wenn er erkenne, daß er selbst nicht gefährdet ist ("delightful horror"). Kant nennt ein Objekt erhaben, wenn es erhabene Ideen im Betrachter hervorruft. Solche Gegenstände findet er vor allem in der Natur: "So kann der weite, durch Stürme empörte Ozean nicht erhaben genannte werden. Sein Anblick ist gräßlich; und man muß das Gemüt schon mit mancherlei Ideen angefüllt haben, wenn es durch eine solche Anschauung zu einem Gefühl gestimmt werden soll, welches selbst erhaben ist." (S. 190) Angesichts des unendlichen Meeres erkenne der Mensch einerseits seine physische Ohnmacht, andererseits könne er der Übermacht der Natur die Erkenntnis entgegensetzen, daß, "obgleich der Mensch jener Gewalt unterliegen müßte", seine "Menschheit", das Bewußtsein der "eigenen Erhabenheit der Bestimmung", davon unberührt bleibe. (S. 186) Diese geistige Überwindung der sinnlichen Natur des Menschen charakterisiere das Erhabene. Im zusammenfassenden Vergleich definiert Kant das Schöne und das Erhabenen wie folgt: "Schön ist das, was in bloßer Beurteilung (also nicht vermittelst der Empfindung des Sinnes nach einem Begriffe des Verstandes) gefällt. Hieraus folgt von selbst, daß es ohne alles Interesse gefallen müsse. Erhaben ist das, was durch seinen Widerstand gegen das Interesse der Sinne unmittelbar gefällt." (S. 193)

Kant hat mit seinem Theorem vom "uninteressierten Wohlgefallen" die Autonomie der Kunst begründet. Mit diesem Verständnis ist eine Kunst, die belehren und bessern soll, die also auf konkrete Zwecke ausgerichtet ist - wie beispielsweise Lessings Konzept vom Theater als einer moralischen Anstalt - nicht mehr vereinbar. Eine Vermittlung zwischen diesem Prämissen Kants und einer moralischen Funktion der Kunst versuchte Schiller in seinen ästhetischen Schriften.

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Quelle

  • Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft, hg. v. W. Weischedel, 2. Aufl., Frankfurt/M. 1996.

Sekundärliteratur

  • G. Kohler: Geschmacksurteil und ästhetische Erfahrung. Ein Beitrag zur Auslegung von Kants Kritik der Urteilskraft, Berlin u.a. 1980.
  • J. Kulenkampff: Kants Logik des ästhetischen Urteils, Frankfurt/M. 1978.
  • B. Scheer: Einführung in die Philosophische Ästhetik, Darmstadt 1997.