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Walter J. Ong

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* 30.11.1912
† 12.08.2003

Katholischer Geistlicher und Geisteswissenschaftler

Neben seiner Untersuchung zur Rhetorik bei Petrus Ramus ist der Jesuit Ong mit seinem Werk Oralität und Literalität (amerik. 1982) bekannt geworden. Seine zentrale These ist, daß die Erfindung der Schrift dem Menschen nicht bloß ein technisches Hilfsmittel geliefert habe, sondern der Eintritt in die Schriftlichkeit die menschlichen Denkweisen - und die damit verbundenen kulturellen- und gesellschaftlichen Muster - grundlegend und nachhaltig umstrukturiere.

Gesellschaften mit "primärer Mündlichkeit" sind nach Ong von folgenden Denkstrukturen geprägt: eher additiv als subordinierend; eher aggregativ als analytisch, eher einfühlend-teilnehmend als objektiv-distanziert, eher situativ als abstrakt; hinzu kommen noch eine als "Homöostase" bezeichnete Dynamik von Bewahren und Vergessen sowie konservativ-traditionalistische Züge.

Die Schrift hingegen distanziert den Verfasser eines Gedankens vom Empfänger, der dem Urheber nun nicht unmittelbar widersprechen kann. Neben einer zunehmenden Betonung des Visuellen (vor allem gegenüber dem auditiven Sinn) hält Ong die Verinnerlichung von Gedanken, Präzision und Detailvielfalt, ein weitaus größeres Vokabular und nicht zuletzt die Fähigkeit, sich selbst in einem zeitlichen (geschichtlichen) Rahmen wahrzunehmen, für Effekte der Schriftkultur. Erst im 20. Jahrhundert treten - neben der "Rest-Mündlichkeit" - verstärkt wieder mündliche Kommunikationsmedien auf: Telefon, Radio und Fernsehen ("sekundäre Mündlichkeit").

Funktionsmechanismen des oralen Gedächtnisses (Mnemotechniken) zeigt Ong anhand der Merkmale von mündlicher Dichtung. Die in seinen Thesen formulierten Kennzeichen oraler und literaler Gesellschaften sind extrem starr und von einer Fortschrittslogik geprägt. Dies wird aber von verschiedenen Seiten mittlerweile eingeschränkt oder zurückgewiesen. Vor allem empirische Studien in verschiedenen Kulturkreisen (oral, neuliteral, multiethnisch etc.) haben gezeigt, daß zahlreiche Zwischen- und Mischformen vorhanden sind und daß die Eigenschaften des einen Kulturzustands auch in dem jeweils anderen vorhanden sein können. Zumindest heute sei in den betroffenen Kulturen ein viel funktionaleres Verständnis von Mündlichkeit und Schriftlichkeit vorherrschend, als es der zum Determinismus neigende Ong darstellt.

© pflug

Wichtige Schriften

  • Oralität und Literalität. Die Technologisierung des Wortes (1987)

Sekundärliteratur

  • A. Bingham: Review of Walter J. Ong's Orality and Literacy. http://www.hu.mtu.edu/%7Edsulliva/rn/bkrv/ong_rvw.htm
  • W. Raible: Orality and Literacy, in: H. Günther / O. Ludwig (Hg.): Schrift und Schriftlichkeit: Ein interdisziplinäres Handbuch internationaler Forschung, Berlin 1994, S. 1-16.