Startseite Inhalt

Gattungen

Achtung, öffnet in einem neuen Fenster. PDFDruckenE-Mail

Unter der Kategorie ´Gattung´ werden in der Regel Texte künstlich zusammengefaßt, die gemeinsame formale, strukturale oder inhaltliche Merkmale aufweisen. Für den deutschen Sprachraum ist Goethes Bestimmung der Gattungen folgenreich geworden. Für ihn gibt es nur "drei echte Naturformen der Poesie: die klar erzählende, die enthusiastisch aufgeregte und die persönlich handelnde: Epos, Lyrik und Drama" (Goethe, S. 187) Problematisch an Goethes Definition ist vor allem die Parallelisierung menschlicher Handlungen und literarischer Formen. Seine Einteilung aber kann sich teilweise auf Aristoteles berufen. Wenn von Lyrik bei ihm auch nicht die Rede ist, so hat er in seiner Poetik doch bereits eine wesentliche Unterscheidung zwischen dem Drama und dem Epos ausgemacht.

Eine große Schwierigkeit bei der Einteilung der Literatur in Gattungen besteht häufig darin, daß strikte Klassifizierungen vorgeschlagen werden, in denen bei weitem nicht alle konkreten Texte ihren eindeutigen Platz finden. In der modernen Literaturentwicklung geht es zudem häufig darum, eben diese künstlich errichteten Gattungsschranken kreativ zu überwinden, wie z.B. in Baudelaires "poèmes en prose" ("Gedichte in Prosa") oder Brechts Konzept des "epischen Theaters".

Daraus, daß die konkreten Texte sich oft nicht ohne Gewalt einem einheitlichen Oberbegriff zuordnen lassen, entspringt auch der Streit um die Gattungstheorien, der seit Jahrhunderten von Literaturhistorikern und Literaturtheoretikern kontrovers geführt wird, aber bislang zu keinem befriedigenden Ergebnis gekommen ist. Auf der einen Seite stehen die Befürworter, die Gattungen als notwendige Grundmuster ansehen, die für die Beschreibung von Literatur und die Unterscheidung der einzelnen Texte insgesamt von großer Bedeutung sind. Ihre Gegner bezweifeln demgegenüber den Sinn und Zweck eines allgemeinen Begriffs, der neben oder über den konkreten Texten steht.

Die drei großen Bereiche der Literatur - Epik, Dramatik, Lyrik - bilden natürlich auch vielfältige Unterbereiche aus (auch ´Untergattungen´, manchmal auch ´Genre´). Im Bereich der erzählenden Literatur ist von "einfachen Formen" die Rede gewesen, die in ihren Form- und Ausdrucksmöglichkeiten relativ festgelegt sind (wie Schwank, Fabel, Parabel, Kalendergeschichte, Kurzgeschichte, Legende, Sage, Märchen, Anekdote). Zu ihnen gesellen sich die komplizierter strukturierten, damit aber auch wandlungsfähigeren "Großformen" (Epos, Novelle, Roman).

In der Dramatik begegnet uns die Grundunterscheidung zwischen Tragödie und Komödie, eine Differenzierung, die noch sehr viele variable Gestaltungsmöglichkeiten birgt. Die verschiedenen Untergattungen (Commedia dell’arte, bürgerliches Trauerspiel, Revolutionsdrama, lyrisches Drama, Dokumentartheater, Parabeltheater usw.) schränken dann diese Möglichkeiten weiter ein. Sie sind aber als historische Varianten ein Ausdruck für die Formenvielfalt und Wandlungsfähigkeit der Dramatik.

Goethe bestimmt die Lyrik als "enthusiastisch aufgeregt" und bezieht sich damit auf den subjektiven Ausdruckscharakter vieler Gedichte, also primär auf den Inhalt; zugleich ist die Lyrik in ihrer historischen Entwicklung stärker als die anderen Gattungen geprägt von der Auseinandersetzung mit tradierten Formelementen (Metrum, Vers, Strophe, Reim) und Gedichtformen (Sonett, Ode, Ballade).

Wichtig ist, in Gattungen keine unveränderlichen, geradezu "natürlichen" Systeme zu sehen. Wie die literarischen Formen selbst unterliegen sie einem Wandel, in dem sie entweder ihre Konstanz bewahren und weiter ausbilden, oder aber auch ein Ende finden können (wie das Epos, das vom Roman abgelöst wurde). Nicht zuletzt bringen die modernen Medien Bewegung in ein starr und unhistorisch gedachtes Gattungsschema. Das Film- oder Fernsehdrehbuch oder auch der Internet-Roman sind nur einige Beispiele dafür. Sicherlich ist es sinnvoll, von willkürlichen Setzungen abzusehen (z.B. der Zusammenfassung aller Texte, in denen eine Katze vorkommt, zu einer Gattung) und Werke anzuerkennen, die Merkmale mit mehreren Gattungen teilen können. Damit wird das Gattungsgefüge ein offenes, das als eine hilfreiche Konstruktion des Literaturtheoretikers, nicht aber als unhistorisches und quasi natürlich gegebenes Einteilungsschema von Literatur zu nehmen ist.

© SR, rein und TvH

Quelle

  • Johann Wolfgang von Goethe: Noten und Abhandlungen, in: J.W. v. Goethe: Werke, hg. von E. Trunz, Band 2, Hamburg 1981.

Sekundärliteratur

  • A. Horn: Theorie der literarischen Gattungen. Ein Handbuch für Studierende der Literaturwissenschaft, Würzburg 1998.
  • A. Jolles: Einfache Formen: Legende, Sage, Mythe, Rätsel, Spruch, Kasus, Memorabile, Märchen, Witz, Tübingen 1974.
  • F. Martini: Literarische Form und Geschichte. Aufsätze zu Gattungstheorie und Gattungsentwicklung vom Sturm und Drang bis zum Erzählen heute, Stuttgart 1984.