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In seinem Dialog Gorgias verwirft Platon die sophistische Idee eines naturgegebenen Rechtes des Stärkeren, der sich mittels seiner rhetorischen Fähigeiten Vorteile verschafft. In der für Platon typischen Dialektik läßt er verschiedene Positionen in Gestalt unterschiedlicher Redner aufeinandertreffen. Hier findet man eines der wenigen direkten schriftlichen Zeugnisse der Sophistik:

"Wenn man durch Worte zu überzeugen imstande ist, sowohl vor Gericht die Richter als in der Ratsversammlung die Ratsherren und in der Volksversammlung das Volk [...]. Denn hast du dies in deiner Gewalt, so wird der Arzt dein Knecht sein, der Turnmeister dein Knecht sein, und auch bei dem Bankier wird sich zeigen, daß er für andere erwirbt und nicht für sich, sondern für dich, der du verstehst zu sprechen und die Menge zu überzeugen" (S. 19)

Über den Stellenwert von Recht und Gesetz sagt der Sophist Kallikles:

"Gesetz und Brauch stellen immer die Schwachen und die Menge auf. [...] Dadurch wollen sie die stärkeren Menschen, die die Kraft besäßen, sich mehr Vorteile zu verschaffen als sie, einschüchtern und, damit sie dies nicht tun, sagen sie, es sei häßlich und ungerecht, auf mehr Vorteile auszugehen [...]. Denn sie, meine ich, sind ganz zufrieden, wenn Gleichheit herrscht, weil sie die Minderwertigen sind [...]. Meines Erachtens beweist aber die Natur selbst, die Gerechtigkeit bestehe darin, daß der Edlere mehr Vorteile hat als der Geringere, und der Leistungsfähigere mehr als der minder Leistungsfähige. An vielen Fällen, sowohl bei den übrigen Lebewesen als auch bei den Menschen, an ganzen Staaten und Geschlechtern sieht man, daß es sich so verhält: daß nämlich das als gerecht anerkannt wird, daß der Stärkere über den Schwächeren herrscht [...]. Oder welches Recht konnte Xerxes für sich in Anspruch nehmen, als er gegen Griechenland zu Felde zog [...]? – man könnte ja tausend solche Beispiele anführen! Wahrhaftig, ich meine, diese Männer handeln so nach der Natur der Gerechtigkeit und – beim Zeus! – nach dem Gesetz der Natur, freilich nicht nach dem Gesetz, das wir fingieren, die wir die tüchtigsten und stärksten Persönlichkeiten unter uns schon in der Jugend vornehmen und wie Löwen bändigen, indem wir sie hypnotisieren und ihnen suggerieren, es müsse Gleichheit bestehen, und das sei gut und recht. Wenn aber, mein' ich, ein Mann ersteht, der die genügende Kraft dazu hat, dann schüttelt er das alles ab, zerreißt seine Bande [...], tritt unser Buchstabenwerk, unsere Hypnose, Suggestion und die sämtlichen naturwidrigen Gesetze und Bräuche mit Füßen, unser bisheriger Sklave tritt auf einmal vor uns hin und erweist sich als unser Herr, und da leuchtet in seinem Glanz das Recht der Natur" (S. 29f).

©rein

Quelle

  • Platon: Gorgias, in: ders.: Hauptwerke, ausgewählt und eingeleitet von Wilhelm Nestle, Leipzig 1931.