Drucken

Wenn ein Autor seinem Stück eine umfangreiche "Vorrede" über die Situation des derzeitigen deutschen Theaters und die bisherigen Bearbeitungen des von ihm gewählten Stoffs voranstellt, dann muss befürchtet werden, dass hier eher ein Gelehrter als ein Dichter schreibt. Zieht man zudem in Betracht, dass von den 1648 Versen des Dramas gerade einmal 174 vom Autor selbst stammen und alle anderen nur mehr oder weniger wörtliche Übersetzungen aus zwei früheren Stücken sind, so wird klar, dass unsere geläufigen Kategorien wie Originalität oder Kunstfertigkeit dem Stück kaum gerecht werden können. Schon zeitgenössische Kritiker haben deswegen gespottet, dieser "Cato der dritte" sei "mit Kleister und Schere" verfertigt und seit über zweihundert Jahren gilt das Stück als "tot". Trotzdem war der Sterbende Cato zunächst ein riesiger Theatererfolg und wurde über zehn Jahre lang auf allen deutschen Bühnen gespielt.

Verständlich wird dies nur, wenn man zwei Umstände berücksichtigt: Zum einen verstand Gottsched sein "erstes deutsches Originaldrama" nicht als originell im Sinne von einzigartig; es ging ihm darum, eine Mustervorlage für regelmäßige deutschsprachige Tragödien zu liefern, die sich streng an die Vorgaben seiner Critischen Dichtkunst hielt. Damit hatte er durchschlagenden Erfolg. Zum anderen ist der Sterbende Cato ein Stück des Übergangs: Die strenge Regelmäßigkeit, die zuerst den Erfolg des Stücks als eines Musterstücks eigenständiger deutscher Originaldichtung ausmacht, wird ihm ab Mitte des Jahrhunderts von der jüngeren Generation vorgeworfen: Zunächst von Lessing und später von den Protagonisten des Sturm und Drang wie etwa von Goethe in seiner Rede zum Shakespeares-Tag. Deren Kunstideal, das bis heute nachwirkt, wird der Sterbende Cato nicht mehr gerecht.

Worum geht es? Unter strenger Wahrung der Drei Einheiten werden die letzten Stunden des römischen Republikaners Cato auf seiner Burg im afrikanischen Utica beschrieben. Cato ist der letzte echte Gegner Cäsars, der sich bereits zum römischen Imperator aufgeschwungen hat, kann dessen Truppen aber keinen Widerstand entgegensetzen und nimmt sich deshalb schließlich das Leben. In seinem für heutige Leser schwer verständlichen Tugendrigorismus hat Cato vorher sowohl verschiedene Hilfsangebote (unter anderem der Parther, deren Königin seine verschollen geglaubte Tochter ist, der er aber diesen Thron verweigert, da sie ja Römerin sei) als auch die Zusammenarbeit mit Cäsar abgelehnt.

Zur strengen Form des Trauerspiels gehört vor allem die Gestaltung der Sprache. Verse wie die folgenden: "Wie teuer kömmt uns doch der hohe Stand zu stehn! / Wie grausam pflegt man nicht mit Fürsten umzugehn!" (V. 27f.) zeigen zweierlei: Zum einen das Festhalten an der zu dieser Zeit bereits umstrittenen Ständeklausel; zum anderen einen ungelenken Umgang mit dem Alexandriner, der in Verbindung mit einem starr durchgehaltenen Paarreim für die insgesamt unbeholfene Sprache des Dramas verantwortlich ist.

Nun lässt sich leicht über den Sterbenden Cato spotten und die Zeitgenossen haben dies nach einiger Zeit auch ausführlich getan. Damit wird man einem Stück allerdings nicht gerecht, das heute nur noch unter literaturgeschichtlichen, aber nicht künstlerischen Aspekten interessant ist. Denn so lächerlich es unter den Gesichtspunkten einer an Originalität und literarischer Gestaltung orientierten Kritik sein mag - die Entwicklung solcher künstlerischen Standards, die eben nicht naturwüchsig und selbstverständlich sind, sondern sich historisch entwickelt haben, verdankt sich zu einem nicht geringen Teil eben den Reformbestrebungen Gottscheds. Die Kriterien, nach denen er kritisiert wurde, mussten schließlich erst entwickelt werden: Erst die Folie einer deutschen Hochsprache, zu deren Entwicklung Gottscheds Reformbestrebungen bei allen Schwächen im Detail erheblich beigetragen haben, konnte seine sprachlichen Mängel offen legen. Lessing, Goethe und ihre Nachfolger haben Gottsched deshalb mehr zu verdanken, als sie zuzugeben bereit waren.

© JK

Quelle