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Jürgen Link

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* 1940

Literaturwissenschaftler

Jürgen Link ist der prominenteste Vertreter einer semiotisch arbeitenden historischen Diskursanalyse. Ausgangspunkt ist für Link der Diskursbegriff Michel Foucaults; als Diskurse gelten Systeme von Aussagen, die das gesellschaftliche Handeln organisieren. Der Diskurs ist unmittelbar mit einer Praxisform verknüpft, d.h. die sprachlichen Strukturen existieren nicht neben der Gesellschaft, sondern sind der sozialen Praxis unmittelbar eingeschrieben und machen ihre Steuerung erst möglich. Diskurse sind immer thematisch gruppiert. Es gibt politische, wissenschaftliche, juristische, medizinische Diskurse, die sich wiederum zu bestimmten, gesellschaftlich zentralen Themengebieten formieren wie: Wahnsinn, Sexualität oder Krieg.

Aus der zunehmenden Divergenz der verschiedenen Handlungsfelder in der arbeitsteilig organisierten modernen Gesellschaft resultiert auch ein Auseinanderdriften der Diskurse. So haben die Spezialisten für unterschiedliche Diskurse Schwierigkeiten, sich miteinander zu verständigen, und den Individuen, die prinzipiell an all diesen Diskursen mehr oder weniger partizipieren müssen, fällt es zunehmend schwer, sich zu orientieren. Sie sind auf die vermittelnde Leistung des Interdiskurses - eine Begriffsprägung Links - angewiesen, der als zusätzliche sprachliche Formation zwischen den Spezialdiskursen eingeschaltet wird. Ein Interdiskurs muß sich also an mehrere Spezialdiskurse ankoppeln können. Um dies zu leisten, bringt er sich zu den Spezialdiskursen in ein Verhältnis von Bild und Abgebildetem: Der Interdiskurs stellt einen Bildraum bereit, auf den der Spezialdiskurs per Analogie bezogen werden kann, und er bezieht sich dabei nicht nur auf einen Spezialdiskurs, sondern sogleich auf mehrere. Er steht als ein vermittelndes Symbol zwischen den Diskursen. Dabei geht es nicht nur um eine irgendwie zu leistende Integration der Diskurse, sondern zugleich um die Durchsetzung eines Sinnschemas, das bestimmte Logiken in die Spezialdiskurse hineinprojiziert. Wenn heutzutage der Sportinterdiskurs in aller Munde ist ("Die SPD hat die Nase bei der letzten Emnid-Umfrag vorn.", "VW hat sich an die Spitze der deutschen Autohersteller vorgekämpft.") dann soll das auch heißen, daß sich Politiker wie auch Ökonomen an bestimmte Regeln halten und die 'sportliche Fairneß' nicht vernachlässigen.

Das bevorzugte Medium des Interdiskurses ist für Link die Literatur. In literarischen Texten werden Interdiskurse kreiert und weiterbearbeitet. Zu ihren wichtigsten Elementen gehören die sogenannten Kollektivsymbole. In seinen Studien zur Literatur des 19. Jahrhunderts beschäftigt Link sich unter anderem mit dem Kollektivsymbol des Ballons. Bei demokratischen, liberalen und sozialistischen Autoren verkörpert der Ballon vor allem die Möglichkeiten des Menschen, durch Vernunft, Arbeit und Technik die Natur zu beherrschen und den ewigen Menschheitstraum vom Fliegen zu erfüllen. Die konservativen Kräfte sehen in ihm hingegen eine - im wahrsten Sinne des Wortes - windige Erscheinung wie die Aufklärung und der technische Fortschritt insgesamt. Als ein nicht zu kontrollierender Spielball der Lüfte und der Winde ist er das Symbol für einen zügellosen Fortschritt, der die Bodenhaftung buchstäblich verloren hat.

Im Anschluß an Link entstanden unterschiedliche literaturwissenschaftliche Arbeiten. So zeigt Rolf Parr in seiner Studie zum Bismarckmythos im Kaiserreich, wie auch historische Persönlichkeiten zu Interdiskurselementen stilisiert werden können. Ute Gerhard verweist auf die enge Verbindung zwischen literarischem Interdiskurs und politischer Sprache, wenn sie Diskursfragmente Friedrich Schillers in den Reden der Abgeordneten der Paulskirche nachweist. Frank Becker untersucht schließlich, wie der Sport in den Jahren der Weimarer Republik zu einem zentralen Interdiskurs für die moderne Industriegesellschaft aufgebaut wird.

©rein

Wichtige Schriften

  • Die Struktur des Symbols in der Sprache des Journalismus. Zum Verhältnis literarischer und pragmatischer Symbole (1978)
  • Elementare Literatur und generative Diskursanalyse (1983)

Sekundärliteratur

  • F. Becker: Amerikanismus in Weimar. Sportsymbole und politische Kultur 1918-1933, Wiesbaden 1993.
  • U. Gerhard: Schiller als "Religion". Literarische Signaturen des XIX. Jahrhunderts, München 1994.
  • R. Parr: Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust. Strukturen und Funktionen der Mythisierung Bismarks (1860-1918), München 1992.