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Joseph Nadler

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* 23.05.1884, Neudörfl/Böhmen
† 14.01.1963, Wien

Literaturhistoriker

Joseph Nadler hat als einer der "Blut und Boden"-Germanisten Einzug in die Geschichte der Literaturgeschichtsschreibung gehalten. Seiner eigenen Einschätzung nach zu Unrecht als Nationalsozialist diffamiert, hat er unzweifelhaft in die vierte Auflage seiner Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften (Regensburg 1938-1941, 1. Auflage 1912-28) faschistisches Gedankengut eingebracht, obwohl dieses objektiv betrachtet seinen Grundthesen durchaus widersprach. Zwar kann man von einer Ähnlichkeit der Blickrichtung und verwandter imperialer Siedlungsvorstellungen sprechen, aber Nadler war ein Theoretiker der Rassenvermischung, die natürlich auf eine geistige Hegemonie Deutschlands zuschritt.

Die Germanen – als "ein Naturvolk" - , so analysiert Nadler, hatten sich unter den Römern und Romanen niedergelassen, "unter einem Kulturvolk als Wirt und Besiegtem. Gast und Wirt vermischten sich körperlich miteinander." Dieser "völkische Vorgang wandelte sich zu einem geistesgeschichtlichen. Der Gast, körperlich aus dem Blute des Wirtes wiedergeboren, nahm nun in geistiger Wiedergeburt Glauben, Bildung, Schrifttum des besiegten Kulturvolkes in sich auf". (S. 2f.) Die Germanen waren folglich in der Lage, die besten Eigenschaften der anderen "Rasse" in ihre Entwicklung aufzunehmen.

Die Literaturgeschichte ist für Nadler nun abhängig von der Entfaltung der deutschen Stämme und Landschaften. Für die Literatur der Klassik zeichnen zum Beispiel die sogenannten "Altstämme" (Franken, Thüringer, "Alemannen") verantwortlich, die Romantik hingegen ist ein Produkt der Entwicklung der "Neustämme", die jedoch zunächst die "Eindeutschung der Slavenwelt von der Elbe bis zur Memel" leisten mußten. Die Romantik wird von Nadler verstanden als das "Erwachen des deutschen Blutes in den eingedeutschten Völkern": Sie "ist die Krönung des ostdeutschen Siedelwerkes, als das gemischte Blut langsam zur Ruhe gekommen war, die Verdeutschung der Seele nach der Verdeutschung der Erde und des Blutes". (S. 6) Dementsprechend kann man "einen Schlesier nie für einen Klassizisten erklären, weil er ein halbes hundert Sechsfüßler schrieb, oder einen Schwaben für einen Romantiker, weil ihn eine Märchennovelle freute oder weil er mit Schleiermacher oder Hardenberg einen flüchtigen Händedruck wechselte." (S. 10)

©rein

Quelle

  • Joseph Nadler: Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften, Bd. 1, 3. Aufl., Regensburg 1929.

Wichtige Schriften

  • Literaturgeschichte der deutschen Stämme und Landschaften [1912-1928], 4. Auflage 1938-1941 mit neuem Titel: Literaturgeschichte des deutschen Volkes. Dichtung und Schrifttum der deutschen Stämme und Landschaften

Sekundärliteratur

  • D. Kelling: Joseph Nadler und der deutsche Faschismus, in: Brücken. Germanistisches Jahrbuch DDR-CSSR, Prag 1986/87, S. 132-147.
  • S. Meissl: Zur Wiener Neugermanistik der 30er Jahre: Stamm, Volk, Rasse, Reich. Über Joseph Nadlers literaturwissenschaftliche Position, in: K. Amann u.a. (Hg.): Österreichische Literatur der 30er Jahre, Wien 1985, S. 130-146.
  • V. Suchy: Joseph Nadler und die österreichische Literaturwissenschaft, in: Wort in der Zeit 9 (1963), S. 19-30.