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Cicero: Über den Redner (55 v. Chr.)

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Im Jahre 55 v. Chr. entstanden, versucht die Rhetorik Ciceros an zwei verschiedene Traditionen anzuknüpfen. Sie gibt sich einerseits philosophisch reflektierend – verweist damit auf Aristoteles und spart andererseits auch die technisch-praktische Seite der Rhetorik nicht aus – zeigt damit ihre Nähe zu Isokrates. Daß in dieser Verbindung der zentrale Gedanke seiner Rhetorik liegt, macht Cicero schon in der Vorrede zum ersten Band deutlich, wenn er sich wie folgt an seinen Bruder Quintus wendet:

"Auch pflegst du zuweilen in unseren Unterhaltungen darin von mir abzuweichen, daß, während nach meinem Urteil die Beredsamkeit auf den wissenschaftlichen Kenntnissen der eindrucksvollsten Männer beruht, du hingegen der Ansicht bist, sie müsse von der gründlichen Gelehrsamkeit getrennt und als das Erzeugnis einer gewissen natürlichen Geistesanlage und Übung angesehen werden." (2, 5)

Natürliche Bildung und Übung in den rhetorischen Mitteln reicht dementsprechend nicht aus, um dem Ideal des umfassend gebildeten Redners gerecht zu werden. Cicero stellt vielmehr die Forderung auf, daß der Redner nicht nur die Kunst der Rede beherrschen, sondern vielmehr auch in Philosophie, Geschichte und den Rechten gebildet sein sollte. Erst wenn er diese universelle Bildung besitzt, ist er in der Lage, den Gegenstand seiner Rede vollständig zu erfassen und mehr als kindisches Gerede zu produzieren:

"Und nach meiner Ansicht wenigstens wird niemand ein in jeder Hinsicht vollkommener Redner sein können, wenn er sich nicht Kenntnisse von allen wichtigen Gegenständen und Wissenschaften angeeignet hat. Denn aus der Erkenntnis der Sachen muß die Rede erblühen und hervorströmen. Hat der Redner die Sachen nicht gründlich erfaßt und erkannt, so ist sein Vortrag nur ein leeres und kindisches Gerede. Nicht jedoch will ich den Rednern, zumal den unsrigen, deren Zeit von den Geschäften des Staatsleben so sehr in Anspruch genommen wird, eine so große Last aufbürden, daß ich ihnen nicht vergönnen sollte, einiges nicht zu wissen; wiewohl der Begriff des Redners und sein Beruf, selbst gut reden, das auf sich zu nehmen und zu verheißen scheint, daß er über jeden Gegenstand, der ihm vorgelegt wird, mit Geschmack und Fülle reden könne." (1, 21f.)

Im zweiten Buch geht Cicero auf vier der klassischen fünf Pflichten des Redners ein: inventio (Stoffauffindung), dispositio (Gliederung), elocutio (sprachliche Ausformulierung) und memoria (Mnemotechniken). Die fünfte Pflicht des Redners, der actio (Vortrag), wird im dritten Buch neben Fragen zur Wortstellung, zum Rhythmus, zu den Stilarten und den rhetorischen Figuren behandelt.

©rein

Quelle

  • Cicero: Über den Redner, übers. v. Wilhelm Binder, München o. J.