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* 25.08.1744, Mohrungen / Ostpreußen
† 18.12.1803, Weimar

Kulturphilosoph und Theologe

Herder leitet die historische Entwicklung – und damit auch die Entwicklung der Literatur - aus den Bedingungen der Natur ab. In der Geschichte wie in der Natur bildet sich alles nach festen Gesetzen aus natürlichen Bedingungen. Das Gesetz des geschichtlichen Fortschritts basiert also auf einem Fortschrittsgesetz der Natur. So begründet Herder in seiner Abhandlung über den Ursprung der Sprache (1772) die 'Erfindung' der Lautsprache mit der notwendigen Kompensation der mangelhaften Instinktausrüstung des Tieres Mensch. In dieser Schöpfung von Sprache in Lautformen sieht er den Urgrund für die Bildung des Bewußtseins und für die Entwicklung geistigen Vermögens überhaupt. Der studierte Theologe verläßt damit die Bahnen eines auf Gottes Eingriffe ausgerichteten Weltbildes. Diese Denkweise beherrscht auch seine psychologisch-philologischen Analysen der Lieder alter Völker, in denen er zeigt, warum diese Lieder eine bestimmte, vollständig aus dem anthropologischen Ursprung der Sprache und des Kollektivverhaltens geprägte Form annehmen mußten.

Auch in seinem Shakespeare-Aufsatz versucht er in Analogie zu dem in seiner Sprachschrift analysierten Kontrast zwischen der eingeschränkten Instinktsphäre der Tiere und der erweiterten Sphäre der Menschen, die Unterschiede zwischen den Dichtungen Sophokles' und Shakespeares durch einen 'naturgegebenen' – wir würden wohl sagen: einen gesellschaftlich bedingten - Unterschied in der Lebensrealität zu erklären. Sophokles lebt in der eingeschränkten Welt der antiken Stadtrepublik, Shakespeares 'polis' hingegen ist die ganze Welt. Die Erweiterung seiner Lebenssphäre dient als Erklärung für die Abkehr von einer antiken, klassizistischen Regelpoetik. Für Herder ist Literatur damit eine Form von "Ethopöie", d.h. eine Schöpfung, die durch die Lebensumstände und den Entwicklungsgrad einer Kulturgemeinschaft erzeugt wird.

Innerhalb der gesamteuropäischen wie der deutschen Aufklärung nimmt Herder damit eine deutlich markierte, eigenständige Position ein. Im Blick auf die deutsche Literaturentwicklung ist er vor allem als Anreger und Vordenker, ja als 'Vaterfigur' der Sturm-und-Drang-Bewegung wichtig; eine Rolle, die später auch von Goethe selbst herausgestellt wird.

©rein

Wichtige Schriften

Sekundärliteratur