Honoré de Balzac

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* 20.05.1799, Tours
† 18.08.1850, Paris

Einen "Sittenmaler unserer Zeit" hat der einflußreiche französische Literaturkritiker Sainte-Beuve seinen Zeitgenossen Balzac kurz nach dessen Tod genannt. Gemeinsam mit seinem Schriftstellerkollegen Stendhal gilt er auch in unserem Jahrhundert als der Begründer des kritischen oder auch soziologischen Realismus im Roman.

Balzac studierte zunächst Jura und arbeitete in einer Anwaltskanzlei bevor er sich für ein Leben als Schriftsteller entschied. Parallel verlaufende Versuche, als Verleger oder Besitzer einer Druckerei seinen Lebensunterhalt zu verdienen, führten allesamt in den Bankrott. Die Schulden haben ihn sein Leben lang begleitet. Noch kurz vor seinem Tod heiratete Balzac 1850 die ukrainische Gräfin Evelina Hanska, mit der er achtzehn Jahre lang fast ausschließlich in brieflichen Kontakt gestanden hatte.

Nach einer Reihe pseudonym veröffentlichter Werke und Mißerfolgen als Theaterdichter hatte er mit Le dernier chouan (1829) erstmals einen Erfolg beim Publikum. Um 1834 entwickelte er - in Anlehnung an Dantes Divina Comedia - das Projekt der Comédie humaine (Menschliche Komödie), das seinem Werk fortan Struktur und Zusammenhang geben sollte. Ihm liegt die Idee zugrunde, mit den Mitteln des Romans, der in diesen Jahren zur führenden Literaturgattung aufstieg, ein großangelegtes Gesellschaftspanorama seiner Epoche zu zeichnen. Zwei- bis dreitausend Figuren, so meinte Balzac, sollten genügen, um alle gesellschaftlichen Schichten exemplarisch zu porträtieren. Um in jedem Einzelschicksal etwas Allgemeines erkennbar zu machen, arbeitete er mit dem Mittel der Typisierung. In einem Typ - wie beispielsweise dem Bankier, dem Journalisten, der Kurtisane oder dem Geistlichen - verbinden sich der individuelle Charakter einer Figur und ihre soziale Rolle. Aber Balzac interessierte nicht nur der Zustand der Gesellschaft zu einem gegebenen Zeitpunkt, sondern auch ihre Entwicklung. Deshalb führte er die Geschichte seiner Figuren über die Grenzen eines einzelnen Romans hinaus fort. Der Emporkömmling Rastignac, der Bandit Vautrin oder der Geizhals Grandet tauchen so in verschiedenen Phasen ihres Lebens in mehreren Romanen auf. Von den geplanten 135 Romanen und Erzählungen der Comédie humaine hat Balzac bis zu seinem Tod 90 vollendet.

Seine Erzählweise, in der er die menschliche Gesellschaft gottgleich wie auf einer Bühne präsentiert und ausleuchtet, gilt als Inbegriff des auktorialen Erzählens. Für einige experimentelle Autoren des 20. Jahrhunderts (vor allem im französischen "nouveau roman") avancierte er dadurch zeitweise zum ästhetischen "Hauptfeind Nummer eins".

Er sei nur der Sekretär seines Werkes, hat Balzac bescheiden vermerkt. Der eigentliche Autor hingegen sei die französische Geschichte. Diesen historischen Hintergrund der Balzacschen Romane liefert der Aufstieg des Bürgertums nach der Großen Französischen Revolution (1789-1799). Im Kaiserreich Napoleons (1804-1815), während der politischen Restauration (1815-1830) unter den Königen Ludwig XVIII. und Karl X. aus Frankreichs altem Herrschergeschlecht der Bourbonen und schließlich zur Zeit des "Bürgerkönigs" Louis-Philippe (1830-1848) verschärfen sich die Auseinandersetzungen zwischen untergehendem Adel und aufstrebendem Finanzbürgertum. Detailliert beschreibt Balzac die ideelle Ausrichtung der Gesellschaft auf Ruhm, Macht, den Schein des Dekors und vor allem die immer stärkere Durchdringung aller Lebensbereiche durch das Geld. Im Aufstieg und Fall einzelner Figuren spiegelt sich das Bewegungsgesetz der bürgerlichen Welt des 19. Jahrhunderts. In ihr führen Balzacs leidenschaftliche Naturen einen Lebenskampf, der zunächst der Eroberung der Hauptstadt Paris, dem Herzen einer Frau, Geld oder Ruhm gilt. Das eigentlich existentielle Problem zeigt sich erst, wenn diese Eroberungen geglückt sind, denn der Willenskraft des Menschen sind natürliche Grenzen gesetzt: Sie verzehrt die Lebenskraft und sieht sich bald ihrem ärgstem Feind gegenüber, dem Tod. Je intensiver der Mensch sein Leben lebt, um so stärker verbraucht er es.

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Wichtige Schriften

Sekundärliteratur