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Siegfried J. Schmidt

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* 1940, Jülich

Literaturwissenschaftler

Siegfried J. Schmidt studierte Philosophie, Germanistik, Linguistik, Geschichte und Kunstwissenschaften in Freiburg, Göttingen und Münster, promovierte 1966 und habilitierte sich 1968. Nach Professuren in Bielefeld und Siegen ist er seit 1997 Professor für Kommunikationstheorie und Medienkultur an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit ist er als Künstler aktiv.

Schmidt ist der maßgebliche Begründer der Empirischen Literaturwissenschaft, deren erste umfassende Theorie er mit seinem Grundriß der Empirischen Literaturwissenschaft (1980/82) vorgelegt hat.

Es geht ihm und seinen Mitstreitern darum, der Literaturwissenschaft eine überprüfbare und explizit begründete Theorie zugrunde zu legen und sie so anwendungsorientiert zu fundieren: "Die Zielvorgaben einer empirischen Literaturwissenschaft lassen sich folgendermaßen kennzeichnen: Angestrebt wird Aufklärung im Sinne der Fähigkeit von Kritik und Selbstkritik, Selbstverantwortung und Rationalität; Solidarität als Reduktion der Herrschaft von Menschen über Menschen, als Reduktion von Wissens- und Wahrheitsterrorismus; Kooperativität als konfliktreduzierendes Interagieren und gemeinsames Problemlösen. Aus solchen Zielvorgaben folgt für wissenschaftliches Handeln, das dazu in seinem Handlungsbereich beitragen will, daß es explizit sein muß, systematisches Erfahrungmachen erlauben muß und intersubjektiv vermittelbar und überprüfbar sein muß. Außerdem muß es Anwendungsrelevanz für soziale und individuelle Bedürfnisse besitzen." (Vom Text zum Literatursystem, S. 157)

"Literatur" wird in diesem Ansatz verstanden als ein System kommunikativer Handlungen, das durch vier grundlegende Handlungsrollen organisiert wird: durch Produktion, Vermittlung, Rezeption und Verarbeitung. Der Blick richtet sich dann nicht mehr (primär) auf den Text sondern auf das gesamte Zusammenspiel der Handlungen im System "Literatur". Hatte Schmidt sich zunächst noch am Vorbild einer empirischen Sozialwissenschaft orientiert (Grundriß, S. 391), übernimmt er später Anregungen aus Niklas Luhmanns Systemtheorie und aus dem (Radikalen) Konstruktivismus. Letzterer bezeichnet - vereinfacht gesagt - einen Blick auf das Individuum als ein seine Wirklichkeit aufgrund seiner biologischen Ausstattung konstruierendes und sich selbst erhaltendes wie gestaltendes (= "autopoietisches") System. (Ausführliche Informationen in: Der Radikale Konstruktivismus.) Vor diesem theoretischen Hintergrund wendet sich Schmidt in jüngster Zeit auch medientheoretischen Fragen zu: "Die traditionelle Unterscheidung zwischen medial vermittelten und medial unvermittelten Erfahrungen ist längst hinfällig geworden. Die Omnipräsenz von Medienangeboten verändert individuelle wie soziale Wirklichkeitskonstruktionen, und sie verändert zugleich deren kategoriale Ordnung und Relevanzbewertung. […] Wenn Referenz und Authentizität primär Medienprobleme sind, dann wird das Wissen zentral und nicht die Objekte. Medienkultur kann aber gerade die Konstruktivität von Kognition und Kommunikation ebenso bewußtmachen wie unsere unteilbare Verantwortung für den Umgang mit Medien." (Medien, Kultur: Medienkultur, S. 447)

Siegfried J. Schmidt hat seiner Forderung nach einer institutionellen Reform der Literaturwissenschaft gemäß den Ansprüchen des empirischen Ansatzes Nachdruck verliehen, indem er sich an führender Stelle in neugegründeten Organen betätigt: von 1984 bis 1997 war er Direktor des Instituts für Empirische Literatur- und Medienforschung (LUMIS) in Siegen, weiterhin ist er Mitherausgeber der wichtigsten Zeitschriften der Empirischen Literaturwissenschaft: Spiel und Poetics.

© JK

Quelle

  • Siegfried J. Schmidt: Medien, Kultur: Medienkultur. Ein konstruktivistisches Gesprächsangebot, in: Siegfried J. Schmidt (Hg.): Kognition und Gesellschaft. Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus 2, Frankfurt/M. 1992, S. 425-450.
  • Siegfried J. Schmidt: Der Radikale Konstruktivismus. Ein neues Paradigma im interdisziplinären Diskurs, in: Siegfried J. Schmidt (Hg.): Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus, Frankfurt/M. 1987, S. 11-88.
  • Siegfried J. Schmidt: Vom Text zum Literatursystem. Skizze einer konstruktivistischen (empirischen) Literaturwissenschaft, in: Einführung in den Konstruktivismus, mit Beiträgen von Heinz von Foerster, Ernst von Glaserfeld u.a., 4. Aufl., München 1998, S. 147-166.
Wichtige Schriften
  • Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus (1987)
  • Die Selbstorganisation des Sozialsystems Literatur im 18. Jahrhundert (1989)
  • Grundriß der Empirischen Literaturwissenschaft (1991)
  • Die Welt der Medien. Grundlagen und Perspektiven der Medienbeobachtung (1996)