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Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte (1837)

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Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte gehen vom Vernunftprinzip aus, von der Vorstellung, daß es im Fortschreiten der Menschheitsgeschichte vernünftig zugehe. In seiner Einleitung schreibt er:

"Der einzige Gedanke, den die Philosophie mitbringt, ist aber der einfache Gedanke der Vernunft, daß die Vernunft die Welt beherrsche, daß es also auch in der Weltgeschichte vernünftig zugegangen sei. Diese Überzeugung und Einsicht ist eine Voraussetzung in Ansehung der Geschichte als solcher überhaupt; in der Philosophie selbst ist dies keine Voraussetzung. Durch die spekulative Erkenntnis in ihr wird es erwiesen, daß die Vernunft – bei diesem Ausdrucke können wir hier stehenbleiben, ohne die Beziehung und das Verhältnis zu Gott näher zu erörtern -, die Substanz wie die unendliche Macht, sich selbst der unendliche Stoff alles natürlichen und geistigen Lebens wie die unendliche Form, die Bestätigung dieses ihres Inhalts ist. Die Substanz ist sie, nämlich das, wodurch und worin alle Wirklichkeit ihr Sein und Bestehen hat – die unendliche Macht, indem die Vernunft nicht so ohnmächtig ist, es nur bis zum Ideal, bis zum Sollen zu bringen und nur außerhalb der Wirklichkeit, wer weiß wo, als etwas besonderes in den Köpfen einiger Menschen vorhanden zu sein; der unendliche Inhalt, alle Wesenheit und Wahrheit, und ihr selbst ihr Stoff, den sie ihrer Tätigkeit zu verarbeiten gibt, denn sie bedarf nicht, wie endliches Tun, der Bedingungen eines äußerlichen Materials gegebener Mittel, aus denen sie Nahrung und Gegenstände ihrer Tätigkeit empfinge, sie zehrt aus sich und ist sich selbst das Material, das sie verarbeitet; wie sie sich nur ihre eigene Voraussetzung und der absolute Endzweck ist, so ist sie selbst dessen Bestätigung und Hervorbringung aus dem Inneren in die Erscheinung, nicht nur des natürlichen Universums, sondern auch des geistigen – in der Weltgeschichte. Daß nun solche Idee das Wahre, das Ewige, das schlechthin Mächtige ist, daß sie sich in der Welt offenbart und nichts in ihr sich offenbart als sie, ihre Ehre und Herrlichkeit, das ist es, was, wie gesagt, in der Philosophie bewiesen und hier als bewiesen vorausgesetzt wird." (S. 48f.)

Die Geschichte als "Produkt der ewigen Vernunft" schreitet in Richtung Freiheit. Die vollkommene Freiheit der Menschen ist das Ziel der Weltgeschichte. Hegel nennt dies auch das Ziel des Geistes, denn die Weltgeschichte ist ja nichts anderes als die Manifestation des Weltgeistes:

"Die Natur des Geistes läßt sich durch den vollkommenen Gegensatz desselben erkennen. Wie die Substanz der Materie die Schwere ist, so, müssen wir sagen, ist die Substanz, das Wesen des Geistes die Freiheit. Jedem ist es unmittelbar glaublich, daß der Geist auch unter anderen Eigenschaften die Freiheit besitze; die Philosophie aber lehrt uns, daß alle Eigenschaften des Geistes nur durch die Freiheit bestehen, alle nur Mittel für die Freiheit sind, alle nur diese suchen und hervorbringen; es ist dies eine Erkenntnis der spekulativen Philosophie, daß die Freiheit das einzige Wahrhafte des Geistes sei." (S. 58)

Die Epochen der Weltgeschichte werden von Hegel als Stufen auf dem Weg zur Vervollkommnung der Freiheit begriffen. Von den Orientalen über die Griechen bis zur christlichen Welt führt in seiner Schematisierung diese Stufenleiter:

"Die Weltgeschichte ist der Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit – ein Fortschritt, den wir in seiner Notwendigkeit zu erkennen haben. Mit dem was ich im allgemeinen über den Unterschied des Wissens von der Freiheit gesagt habe, und zwar zunächst in der Form, daß die Orientalen nur gewußt haben, daß Einer frei, die griechische und römische Welt aber, daß einige frei sind, daß wir aber wissen, alle Menschen an sich, das heißt der Mensch als Mensch sei frei, ist auch zugleich die Einteilung der Weltgeschichte." (S. 61)

Der Weg zu dieser Freiheit führt über die Handlungen von Individuen, die durch die sogenannte "List der Vernunft" glauben, ihren eigenen Interessen zu folgen, jedoch nur Werkzeuge zur Verwirklichung des Welt- und Volksgeistes sind. Besonderen Augenmerk schenkt Hegel den "welthistorischen Individuen" wie Alexander, Cäsar, Napoleon, in denen dieser Weltgeist auf besondere Weise zum Ausdruck kommt. In ihren partikularen Interessen leuchtet das Allgemeine auf:

"Dies sind die großen Menschen in der Geschichte, deren eigne partikulare Zwecke das Substantielle enthalten, welches Wille des Weltgeistes ist. [...] Solche Individuen hatten in diesen ihren Zwecken nicht das Bewußtsein der Idee überhaupt, sondern sie waren praktische und politische Menschen. Aber zugleich waren sie denkende, die die Einsicht hatten von dem, was not und was an der Zeit ist. Das ist eben die Wahrheit ihrer Zeit und ihrer Welt, sozusagen die nächste Gattung, die im Innern bereits vorhanden war. Ihre Sache war es, dies Allgemeine, die notwendige nächste Stufe ihrer Welt zu wissen, diese sich zum Zwecke zu machen und ihre Energie in dieselbe zu legen. Die welthistorischen Menschen, die Heroen einer Zeit, sind darum als die Einsichtigen anzuerkennen; ihre Handlungen, ihre Reden, sind das Beste der Zeit." (S. 75)

An dieser Stelle wird deutlich, daß der Mensch bei Hegel nicht nur bewußtloser Vollstrecker des Weltgeistes ist, sondern mittels seines Verstandes am Geistigen teil haben kann.

©rein

Quelle

  • Georg Wilhelm Friedrich Hegel: Philosophie der Geschichte, Stuttgart 1961.